Kategorie-Archiv: Reisen und Weltanschauung

Dresden-Murmansk-Dresden. Die Heimkehr.

17.08.2014

Es ist ein seltsames Gefühl. Wieder zu Hause. Nach neun Wochen. Und es ist ein gutes Gefühl. Die Rückreise verlief unspektakulär. Es schien kein nennenswertes Wasser mehr im Motor zu sein. Eine längere Instandsetzung ist dennoch nötig. Der Verschleiß war hoch. Die Reise auf dem Motorrad von Dresden nach Murmansk hat dem Material alles abverlangt. Fast neuntausend Kilometer standen zum Schluss auf dem Tacho.

Es waren aufregende und anstrengende Wochen. Manches Mal habe ich mich unterwegs gefragt, ob es denn eine gute Idee war, diese Tour zu machen. Jetzt, eine Woche nach der Rückkehr, bin ich mir sicher, dass es gut war. Und ich werde wieder dorthin fahren. Nicht mit dem Motorrad, zumindest nicht mit der URAL. Die ist mittlerweile doch zu betagt.

Der Alltag hat mich noch nicht wieder eingeholt. Mein Sabbatical endet am 31. August. Noch ein paar Tage Zeit, die Gedanken zu sortieren, noch einmal durchzuatmen.

Hier noch einmal die Karte der gesamten Tour. Wer nocheinmal wissen möchte, wie alles begann, kann hier klicken.

 

URAL connects people

08.08.2014

Morgen geht es endgültig nach Hause. Eigentlich wollte ich drei Tage vor der endgültigen Heimfahrt (also am Mittwoch) nur ein paar Kleinigkeiten an der URAL erledigen. Schrauben nachziehen, Öl auffüllen, alles solche Dinge. Und ich erlebe ein Desaster. Der Anlasser gibt nur ein klägliches Klicken von sich. Batterie runter? Wäre nicht schön aber eigentlich noch keine Katastrophe. Zum Glück habe ich ja einen Kickstarter. Los geht’s und es passiert-nichts. Der Motor lässt sich nicht mal durchdrehen. Mir wird erstmal ganz anders. Also Kerzen rausschrauben und noch einmal versuchen. Aus dem linken Kerzenloch kommt eine fingerdicke Wasserfontäne. Aus der rechten Öffnung quillt es nicht so stark, aber immerhin auch. Ja, Wasser. Ich bin fassungslos. Am Vortag und in der Nacht hatte es durchgängig geregnet und das Motorrad stand leicht schräg. Die Öffnung für den Luftfilter zeigt bei der URAL nach oben. Und das ist eine, gelinde gesagt, dämliche Lösung. Das Wasser ist bis zum Zylinderkopf durchgelaufen. Und nun? Und nun habe ich erstmal schlechte Laune. Hilft aber auch nicht weiter. Also ran an die Arbeit. In der Wald- und Wiesenwerkstatt Zylinder ziehen habe ich vorher auch noch nicht gemacht.

Russische Feldschmieder

Russische Feldschmiede

Aber was bleibt mir übrig. Ich versuche, die Wasser-Öl-Emulsion so gut wie es geht zu entfernen. Es ist eine einzige Schweinerei.

Begeisterung pur

Begeisterung pur

Danach Vergaser reinigen, Luftfilter reinigen. Ich bin total begeistert. Am Abend habe ich alles wieder zusammen. Fremdstartkabel ans Auto und los. Nur anspringen will das Gerät nicht. Ein paar müde Huster, dann wieder Stille. Ich beschließe, auch im Interesse der Nachbarn, alles Weitere auf Donnerstag zu vertagen.

Der Donnerstag beginnt mit einer nochmaligen Ventileinstellung, einer weiteren Vergaserreinigung und einer zusätzlichen Reinigung und Trocknung des Luftfilters. Gegen Mittag läuft sie endlich, wenn auch noch nicht rund. Zumindest kriegt sie soweit Temperatur, dass ich das Öl komplett ablassen kann. Die Brühe, die dann rauskommt, sieht aus wie Milchkaffee. Gekostet habe ich nicht. Dann erstmal mit dem Auto zur Tankstelle, noch eine Ladung Öl holen. Es wird nicht der letzte Ölwechsel sein. Inzwischen ist es wieder Abend. Noch einen Ausflug zur Eisengießerei in der Nähe. Nein, keine URAL-Teile besorgen. Ebbemala Bruk ist eine alte Gießerei aus dem neunzehnten Jahrhundert. Dort gibt es heute „historisches“ Schaugießen. Sehr anschaulich, man kommt wenigstens mal auf andere Gedanken. Es ist schon ärgerlich, die Urlaubstage mit Fehlersuche zuzubringen. Am Abend noch eine, diesmal angenehme, Überraschung. In der Nachbarschaft wohnt ein schwedischer Dneprfahrer. Er ist auf meine URAL aufmerksam geworden. Und bietet an, auf seinem Grundstück, einer alten Schule, weiterzuschrauben. Allemal besser als auf der Wiese…

Der Freitag beginnt wie der Donnerstag. Doch es gibt einen Fortschritt. Das Problem lässt sich auf einen Zylinder eingrenzen. Dummerweise ist es der auf der Beiwagenseite, wo man „gut“ rankommt. Die URAL läuft nur bei gezogenem Choke rund. Also weiter mit den Vergaserstudien. Aber erstmal noch ein Ölwechsel, um den letzten Öl-Wasser-Schlamm loszuwerden. Tommy, so heißt der schwedische Nachbar, hat einen Kumpel aus Litauen, der sich gut mit den russischen Geräten auskennt, wie sich herausstellt. Alles Öl nochmal raus und einen halben Liter Diesel eingefüllt. Damit wird der Motor „kalt“ durchgedreht und die Restbrühe wieder abgelassen. Nochmal neues Öl drauf, jetzt sollte es gehen. Der Vergaser gibt mehr Rätsel auf. Am Ende bauen wir ihn komplett auseinander, reinigen ihn mit Druckluft und wechseln zur Sicherheit noch die Membran. Und dann…geht’s! Na bitte! Es gibt noch Kaffee und belegte Brote von Karin, Tommys Frau. Die beiden leben in dieser alten Schule, um, wie sie sagen, ein etwas langsameres Leben zu führen. Er tischlert Möbel und sie malt Bilder. Alles in beschaulicher Umgebung zwischen Wäldern und Seen. Ja, so kann’s laufen. Morgen geht’s auf der URAL zurück nach Dresden. Von Murmansk. Auf drei Rädern und nicht auf dem Anhänger. Die letzten von fast neuntausend Kilometern. Nach neun Wochen werde ich wieder daheim sein.

Vorläufiges Finale

Ich bin angekommen. Bei den drei wichtigsten Menschen, die es für mich gibt. Ein Ferienhaus in Bleckinge län, in Südschweden. Hier klingt die Reise auf der URAL von Dresden nach Murmansk und zurück erst einmal aus, bevor es zurück nach Dresden geht. Die letzten Tage seit Uppsala waren Motorradfahren pur. Ich habe noch eine Zeltplatzbetreiberin aus der Schweiz getroffen, die sich in Schweden einen Lebenstraum erfüllt, Autoschrauber aus Hamburg, die mit ihren amerikanischen Oldtimern auf Tour sind und jede Menge andere freundliche und hilfsbereite Menschen. Die Zeltplatzbetreiberin war geschäftstüchtig genug, mir um Mitternacht noch Bier zu verkaufen und von den Schraubern habe ich gelernt, dass ein Verbrauch von zwölf Litern auf hundert Kilometer geradezu sparsam ist. Wenn man einen Motor von sechs Litern Hubraum hat… Ein wenig Fachsimpeln über amerikanische und russische Autos, da kommt man schon ins Träumen. Die URAL hat sich auf der Reise anständig gehalten. Wenn man von den Zündungsproblemen absieht, die ich mit „Bordmitteln“ beheben konnte, lief die Maschine störungsfrei. Und dass über achttausend Kilometer, die mitunter nicht so ganz einfach waren. Russische Straßen sind doch etwas Besonderes. Noch ein paar Worte zur Technik. Ich war mit einem 750cm³-URAL-Gespann unterwegs, welches ich im Jahre 2001 in Deutschland gekauft habe, damals fabrikneu. Außer dem Anbau eines Ölkühlers und einer leistungsstärkeren Ölpumpe habe ich technisch nichts verändert. All die Geschichten über das unabdingbare Austauschen aller russischen Lager und ähnlichen Horror habe ich ignoriert. Mittlerweile hat die URAL knapp sechzigtausend Kilometer „auf der Uhr“ und ein Ende ist nicht abzusehen. Reisen haben mich damit nach Skandinavien (2004), nach Sibirien (2008) und jetzt nach Murmansk geführt. Sicher gab es Pannen und sicher mussten auch einmal Teile (vorzeitig) getauscht werden. Aber Motor, Getriebe und Kupplung sind original. Der Ölverbrauch liegt im Rahmen. Wenn ich darüber nachdenke, was mir über die Jahre an technischem Ungemach vorhergesagt wurde, finde ich die bisherige Laufleistung recht akzeptabel. In Russland selbst war die Maschine immer wieder ein „Hingucker“. Ich wurde oft darauf angesprochen und oft sehr anerkennend. Es ist klar, dass es weitaus bessere Technik gibt aber hier zählte wohl der Symbolwert. Die bisher zurückgelegt Strecke gibt es unter diesem Link. Noch einmal Atem holen vor dem letzten Ritt auf dem Motorrad von Dresden nach Murmansk – und zurück. Auch das Sabbatical geht zu Ende. Im September werde ich wieder arbeiten gehen.

Stockholm schlägt Uppsala

23.07.2014

Stockholm ist mir zu anstrengend. Zumindest der Verkehr. Aber gesehen haben muss ich es. Was liegt näher, als sich ein Basislager in der Nähe zu suchen, die URAL stehen zu lassen, und sich fahren zu lassen? Meine Wahl fällt auf Uppsala, keine hundert Kilometer von der schwedischen Hauptstadt entfernt. Uppsala selbst, als alte Universitätsstadt, scheint auch nicht uninteressant zu sein. Ich muss Prioritäten setzen, Stockholm gewinnt. Von Uppsala kenne ich also nur den Weg vom Zeltplatz zum Bahnhof. Stockholm Central spuckt mich aus. Mitten hinein in’s Gewühl. Ein Kulturschock, meine letzte Begegnung mit einem derartigen Hotspot war in Sankt Petersburg. Archangelsk und Murmansk spielen, natürlich, nicht in dieser Liga, so interessant, wie es dort war. Es ist voll. Und es ist heiss. Ich habe nur diesen einen Tag Zeit, also absolviere ich das touristische Grundprogramm. Königspalast, Parlamentsgebäude, Gamla Stan, die historische Altstadt, die Anlegestelle für Ausflugsboote aller Art. Die Altstadt ist nicht uninteressant, enge Gassen, Geschäfte, Kneipen, Menschen.

Gamla Stan

Gamla Stan

Man kann hier gut die Zeit rumbringen. Einzigartig ist es allerdings nicht. Es ist wirklich schön dort aber dieses Flair gibt es auch in Warschau, Tallinn, Prag… Es ist wieder das alte Lied, ein Tag für eine derartige Stadt geht nicht. Russland holt mich allerdings auch hier ein. Ein Mittagessen bei Olga.

Bei Olga - wir sprechen russisch

Bei Olga – wir sprechen russisch

Es wird tatsächlich Russisch gesprochen. Dann finde ich noch ein Highlight – die Fotografiska, das Fotomuseum in Stockholm, direkt am Ufer gelegen, mit wohl dem schönsten Blick auf die Altstadt.

Blick auf die Altstadt

Blick auf die Altstadt

Die Fotografiska ist aus meiner Sicht ein MUSS für einen Stockholmbesuch. Faszinierende Bilder, gerade in schwarz-weiß, was mich besonders begeistert. Und Videoinstallationen, die ich nur als atemberaubend bezeichnen kann. Es ist schwer, diese Eindrücke in Worte zu fassen. Ich schlendere durch die Altstadt zurück zum Bahnhof. Stockholm ist es wert, gesehen zu werden.

Auch eine Marke

Auch eine Marke

Nur braucht es seine Zeit. An nur einem Tag wirkt die Stadt wie ein beliebiges Museum. Und bin mir sicher, dass es hier faszinierend sein kann.

Stockholmer Ansichten

Stockholmer Ansichten

Auf dem Zeltplatz komme ich mit einem Russen ins Gespräch, der mit seiner Familie in Finnland lebt. Ausgangspunkt war wieder einmal mein nicht alltägliches Fortbewegungsmittel. Wir reden, russisch, über dies und jenes. Über meine Reise nach Russland, über die Darstellung Russlands in deutschen Medien. Mitten im Gespräch will er wissen, seit wann ich eigentlich in Deutschland lebe. Interessante Fragestellung…

Langsam setzt sich bei mir der Gedanke fest, dass es schön ist, wieder nach Hause zu kommen…Weiter auf dem Motorrad nach Süden über Norrköping und Västervik.

Die aktuelle Route gibt’s unter diesem Link.

Gibt es in Schweden Hufeisennasen?

21.07.201

Eine Brücke. Und mitten durch das Weltkulturerbe, kaum zu glauben. Ich bin etwas irritiert. Wie kann das gehen? Aber das Bauwerk ist real. Und riesig.

Högakustenbrücke

Högakustenbrücke

Die Hohe Küste, eine eiszeitlich geformte Landschaft ungefähr fünfhundert Kilometer nördlich von Stockholm, zählt tatsächlich zum Weltkulturerbe. Nach dem Verschwinden des Inlandeises der letzten Eiszeit hat sich das Land bisher mehrere hundert Meter gehoben. Und es geht weiter. Der Druck des Eises muss immens gewesen sein, dass dieser Vorgang noch nicht zu Ende ist. Geformt wurde eine einzigartige Landschaft mit Fjorden, umgeben von Felsen. Und über einen dieser Fjorde spannt sich bei Örnsköldsvik eine gewaltige Brücke. Aber irgendwo muss die E4 ja schließlich langgehen. Brücke und Weltkulturerbe müssen sich nicht ausschließen, obwohl das von Ort zu Ort offensichtlich verschieden gesehen wird. Hufeisnnasen scheint es keine zu geben. Ich kann nirgendwo ein Tempo-30- Schild entdecken.  Ich bin mit dem Motorrad in Schweden auf dieser E4 unterwegs in Richtung Stockholm. Hier ist Bilderbuchschweden. Blauer Himmel, grüne Landschaft, rote Häuser, Seen, alles da. Es ist fast unwirklich. Fast wundert es mich, an der Tankstelle nicht vom Fräulein Langstrumpf bedient zu werden.

Hohe Küste

Hohe Küste

Die Kilometer gehen dahin. Die URAL gibt allerdings besorgniserregende Geräusche von sich, deren Herkunft ich noch nicht einordnen kann. Die Wege in Russland haben offensichtlich Spuren hinterlassen. Es sind noch eintausendfünfhundert Kilometer bis nach Dresden. Also beobachten und weiterfahren. Und vorwichtig behandeln. Am Abend finde ich mich in Hölick wieder. Eine Halbinsel in der Ostsee und ein ehemaliges Fischerdorf. Auch hier Postkartenmotive ohne Zahl. Liegt ein wenig abseits der Fahrtroute, ist aber sehr ansehnlich. Und ich fahre nach Süden. Die Tage werden kürzer und die Nacht ist hier tatsächlich fast dunkel. Das nächste Ziel heißt Stockholm.

Die bisherige Tour gibt’s unter diesem Link

Der lange Weg nach Hause

Ich bin auf dem Weg nach Hause. An Russland erinnern nur noch gelegentliche Hinweisschilder nach Murmansk mit immer größer werdenden Zahlen. Von Inari sind es vierhundertvierzig Kilometer nach Tornio, der Stadt an der finnisch-schwedischen Grenze. Vierhundertvierzig Kilometer grüne Eintönigkeit. Zugegeben, die Vegetation wird höher, je weiter man nach Süden vordringt. Die Rentiere, die den Weg kreuzen, oder ihn manchmal auch völlig in Anspruch nehmen, werden weniger. Ansonsten wechseln sich Seen und Wälder in endloser Reihenfolge ab, unterbrochen von einigen ziemlich gleich aussehenden Siedlungen. Rovaniemi zieht vorbei. Den Polarkreis lasse ich hinter mir. Wieder fahren, Kilometer fressen, Sonnenschein und Regen. Eine endlose Straße. Dann Tornio, die Grenzstadt.

Tornio- Die Grenze

Tornio- Die Grenze

Ich steuere den Zeltplatz an. Mein letzter Besuch in Tornio fand im März statt, anlässlich der RAJALTA RAJALLE. Ich finde, im Sommer sieht Tornio deutlich vorteilhafter aus. Man betreibt hier auch definitiv andere Sportarten als im Winter.

Subarktischer Sommersport

Subarktischer Sommersport

Es geht weiter. Entlang der E4 nach Süden. Ich möchte noch nach Stockholm, um der Gleichförmigkeit zu entgehen. Die URAL läuft, die Straßen sind gut. Die Reise auf dem Motorrad von Dresden nach Murmansk findet seine Fortsetzung. Byske ist ein Megazeltplatz. Riesig und laut. Eigentlich nicht mein Geschmack. Aber ich bin zu müde zum Weiterfahren.

Der aktuelle Weg unter diesem Link

Inari lebt

Es gibt diesen Ort tatsächlich.

Einmal nach Inari

Einmal nach Inari

Manch einer kann sich vielleicht noch an den Film „Zugvögel…Einmal nach Inari“ erinnern. Ich bin dort. Nach einer herrlichen Fahrt an der der Küste des Varrangerfjordes entlang und über die finnisch-norwegische Grenze, die aus einem blauen Schild im Wald besteht. Es war wieder eine Fahrt durch eine fast arktische Landschaft. Felsen, niedriger Bewuchs und jede Menge Rentiere. Karg, unwirtlich aber auch mit berauschenden Ausblicken über den Fjord.

Varrangerfjord

Varrangerfjord

Hin und wieder Hinweistafeln, dass das norwegische Militär nicht fotogen zu sein glaubt. Grenzgebiet zu nicht befreundeten Staaten eben. Und kalt. Und unangemeldete Verkehrsteilnehmer.

Vorfahrt

Vorfahrt

Kurz vor der Ankunft in Inari fängt es an zu regnen. Aber das war gestern. Heute ist Ruhetag. Die Sonne erbarmt sich. Der See ist einladend.

Der See

Der See

Und überraschend warm. Ein Stadtrundgang ist schnell erledigt. Der See, ein paar Geschäfte für hochwertige Tourismuserzeugnisse, der Hafen, ein Museum der lappländischen Kultur, das war’s. Einen Bahnhof gibt es offensichtlich nicht. Erstaunlich…

Inari-Hafen

Inari-Hafen

Es ist ein Urlaubsort. Die gefühlte Hälfte der verkehrenden Fahrzeuge sind Wohnmobile. Das Nordkap liegt in Reichweite. Ich habe immer noch das Gefühl, nicht richtig angekommen zu sein. Es ist alles so viel anders als das, was ich in den letzten Wochen gesehen habe. Eine andere Welt. Es wirkt fast ein wenig steril. Die URAL ist mit Abstand das dreckigste Vehikel auf dem Campingplatz. Es gibt abschätzige Blicke. Völlig egal! Mein Hochgefühl, die Tour durch Russland geschafft zu haben, wirkt positiv auf Wirbelsäule und Kopfhaltung.

Morgen nach Tornio. Die Ostsee ruft. Die Reise auf dem Motorrad geht weiter. Die bisherige Strecke gibt es unter diesem Link.

Auf dem Motorrad von Dresden nach Murmansk – Ende

„Guten Tag!“ Ich bin kurz erstaunt, dass ich deutsch angesprochen werde. Ich bin es kaum noch gewohnt. Die norwegische Grenzfrau lächelt freundlich. Russland liegt hinter mir. Zweihundert Kilometer trennen mich jetzt von Murmansk. Zweihundert Kilometer durch subarktische Einsamkeit. Niedriges Buschwerk, Felsen und kleine Seen, mehr war nicht. Kaum Ortschaften. Kasernen und Militäranlagen, ja. Irgendwann der Schlagbaum, mitten im Nirgendwo. Kirkenes, der russisch-norwegische Grenzort. Fünfeinhalb Wochen durch Osteuropa liegen hinter mir. Fünfeinhalb Wochen und über sechstausend Kilometer auf der URAL. Die Reise auf dem Motorrad von Dresden nach Murmansk ist endgültig Geschichte. Nach kaum zwanzig Minuten stehe ich auf der anderen Seite des Schlagbaums und habe das Gefühl, wieder in meiner Welt angekommen zu sein. Was bleibt? Russland ist anders, anders als Deutschland, anders auch als Polen und das Baltikum. Es ist schwer zu beschreiben. Die kyrillische Schrift trägt ihren Teil dazu bei. Die Straßen sind teilweise ein Albtraum. Die Städte und Dörfer sind nach unseren Maßstäben heruntergekommen, die Industriebetriebe üble Dreckschleudern. Und doch fasziniert mich dieses riesige Land immer wieder auf’s Neue. Die Menschen, die auf den ersten Blick verschlossen wirken, sind oft hilfsbereit und freundlich. Ich hab es häufig erst gespürt, als ich Probleme hatte. „Brauchst Du Hilfe?“ wurde ich oft gefragt, wenn ich am Straßenrand versucht habe, die URAL wieder in Gang zu kriegen. Klar spreche ich ein wenig russisch aber ich bin doch ein Fremder. Und ich habe hier deswegen nicht einmal Ablehnung erfahren. Im Gegenteil. Ich wurde gefragt, wo ich herkomme, wo ich hin will und auch, ob es mir in Russland gefällt. Smalltalk, sicherlich und trotzdem tut es manchmal gut. Das Land befindet sich in einem Umbruch, denke ich. Seit meiner letzten Reise ist es wesentlich offener geworden. Formalitäten an der Grenze waren nicht mehr so kompliziert wie vor sechs Jahren. Das fast schon paranoide Meldewesen für Ausländer ist drastisch gelockert worden. Riesige Straßenbaustellen, auf denen gearbeitet wird. Die Reise war erstaunlich unkompliziert. Alles hat problemlos funktioniert. Und ich habe interessante, freundliche und großzügige Menschen kennengelernt. Man kann in diesem Land reisen, wenn man bereit ist, sich darauf einzulassen. Und zu dieser Akzeptanz gehört auch die Bereitschaft, die westliche Brille abzulegen. Zu akzeptieren, dass es eine andere Sichtweise auf die jüngere Geschichte gibt. Die Ukrainekrise liegt wie ein Schatten auf diesem Land. Fernsehgeräte sind allgegenwärtig, in Läden, in den kleinen Cafes, in Hotelrezeptionen. Der Krieg in der Ukraine ist präsent. Und dann trifft man auf Menschen, die überhaupt nicht dem Klischee des nationalistischen, propagandaabhängigen Durchschnittsrussen entsprechen und diese Menschen haben auf die Dinge eine völlig andere Sichtweise, als uns unsere Mainstreammedien verordnen. Man muss ihre Sichtweise nicht übernehmen aber über einige Dinge darf man ruhig einmal nachdenken. Ja, wir sind im Westen oft weiter und moderner. Unsere Infrastruktur ist besser und unser Lebensstandard insgesamt höher. Aber daraus leitet sich kein Anspruch auf Überlegenheit ab, wozu man im Westen nicht selten neigt. Wenn man die Selbstverständlichkeit schafft, die Menschen auf Augenhöhe zu sehen, kann man dort eine wunderbare Zeit haben. Ich war nur kurz hier und möchte mir nicht anmaßen, Russland zu verstehen. Manche Dinge werden mir ewig fremd bleiben. Der aus unserer Sicht sehr unkritische Umgang mit der Vergangenheit gehört dazu. Der Kommunismus war ein Fluch für dieses Land und dennoch sind Leninstatuen allgegenwärtig. Und dennoch, ich glaube, dass sich dieses Land modernisiert. Russland ist viel mehr europäisch als asiatisch.

до свида́ния Росси́я

Brotauto

Auf dem Motorrad von Dresden nach Murmansk XVII

13.07.2014

Es ist kaum Verkehr auf den Straßen. Kaum zu glauben, aber hier ist wirklich Sonntag. Kein Vergleich zu Sankt Petersburg und auch zu Archangelsk. Es geht geruhsam zu. Die meisten Geschäfte haben geschlossen. Ich mache mich auf den Weg, die Stadt zu erkunden. Murmansk ist eine Industrie- und Hafenstadt. Sozialistische Hochhaussiedlungen auf den umliegenden Hügeln blicken auf den am Fjord gelegenen Hafen herab. Tourismus ist hier offensichtlich nicht vorgesehen. Aber jetzt, im Polarsommer, empfängt mich die Stadt offen und freundlich. Erinnerungen an Archangelsk kommen auf, obwohl hier scheinbar alles eine Nummer größer dimensioniert ist. Auch hier die Bauten der Sowjetzeiten, dazwischen vereinzelte alte Holzhäuser und die Glas- und Stahlbetonkathedralen der postsowjetischen Realität. Mein alter Bekannter, Herr Uljanow, blickt von einigen Stellen autoritär in die Runde.

Gruß aus einer anderen zeit

Gruß aus einer anderen Zeit

Murmansk ist eine Heldenstadt. Diese Auszeichnung bekamen Städte, in denen in Krieg besonders schwere Kämpfe stattfanden. Über den eisfreien Hafen erhielt die Sowjetunion große Teile der amerikanischen und britischen Rüstungslieferungen. Entsprechend umkämpft war dieser Ort. Es gelang den deutschen und finnischen Truppen jedoch nie, Murmansk einzunehmen und diese wichtige Nachschublinie zu unterbrechen. Der Rückblick auf den Krieg ist auch heute noch allgegenwärtig in Murmansk. Weit über der Stadt auf einem Berg steht die riesige Statue eines Sowjetsoldaten, der die gesamte Stadt überblickt. Ich mache mich auf den Weg, den Soldaten zu besuchen. Zu meinem Glück geht die Trolleybuslinie 4 bis direkt dorthin.

ÖPNV am Rande der Arktis

ÖPNV am Rande der Arktis

Das Nahverkehrssystem scheint vorbildlich, obwohl die Busse wohl schon bessere Tage gesehen haben. Aber sie fahren im Fünfminutentakt und sind mit umgerechnet vierzig Cent für eine Fahrt preislich unschlagbar. Obern auf dem Berg ist erstmal Volksfest. Der Ort scheint ein beliebtes Ziel für Sonntagsausflügler zu sein. Musik, Rummel und Schaschlykstände. Die Schaschlykstände sind hier wohl das, was in Deutschland die Bratwurstbuden sind.

Schaschlyk geht immer

Schaschlyk geht immer

Ich kann mich dem Duft nicht entziehen. Dazu ein frischgezapftes Bier. Ringsum entspannte Menschen. Familien mit Kindern, Cliquen von Jugendlichen, Rentner, alle sind da. Eine gelöste Atmosphäre. Nach dem ich den See umrundet habe, auf dem zahllose Ruderboote fahren, bin an der Statue und der ewigen Flamme.

Der Soldat über Murmansk

Der Soldat über Murmansk

Auch hier werden der feierliche Ernst und die Strenge der Stätte durch herumtobenden Kinder auf eine sehr schöne Weise relativiert. Vergangenheit und Zukunft durchdringen sich. Wie selbstverständlich tummeln sich die Kinder auf den hier zur Erinnerung aufgestellten Geschützen aus Kriegszeiten.

Vergangenheit und Zukunft

Vergangenheit und Zukunft

Der Soldat schaut in die Ferne, nach Westen. Der Ausblick auf Murmansk ist überwältigend. Stadt und Hafen liegen mir zu Füßen.

Ausblick

Ausblick

Im Hafen sehe ich die „Lenin“ liegen. Das Schiff war der weltweit erste Atomeisbrecher und liegt heute hier als Museum. Ich mache mich auf den Rückweg. Touristisch ist Murmansk kein Hotspot aber es tut gut, nach den Tagen am Onegasee und den Nächten unterwegs wieder städtische Atmosphäre zu geniessen. Die Nacht wird kurz, da auch das russische Fernsehen das Finale aus Brasilien überträgt. Es ist ein Moment, an dem ich gern zu Hause gewesen wäre, um das Match in Gesellschaft zu genießen. Und ich freue mich für die deutsche Mannschaft, dass sie diesen Glanzpunkt setzen kann.

14.07.2014

„Museum nie rabotajet?“ frage ich einen Mann in blauer Arbeitskombi. Ich stehe vor dem Atomeisbrecher und wundere mich über die Absperrung. Er murmelt etwas, was ich nicht richtig verstehe und deutet auf die Hinweistafel. Montag und Dienstag ist das Museum geschlossen. Verdammt ärgerlich. Es wäre die einmalige Chance gewesen, dieses legendäre Schiff zu besichtigen.

Der Atomeisbrecher

Der Atomeisbrecher

Ich bin kein Seefahrtsfanatiker aber das hätte ich gern gesehen. Und ich kann mir nicht vorstellen, dass es ein nächstes Mal gibt. Schweren Herzens mache ich noch ein paar Bilder und verlasse den Schauplatz. Der Tag vergeht mit Reisevorbereitungen. Lebensmittel einkaufen und die URAL noch mal „streicheln“. Die Reise auf dem Motorrad von Dresden nach Murmansk ist Geschichte. Morgen steht die endgültig letzte Etappe auf russischem Boden an. Ziel ist das norwegische Kirkenes. Danach geht es nach Hause. Was von Murmansk bleibt, ist der Eindruck einer modernen, lebendigen Stadt, die fest in der Gegenwart steht und ihre Vergangenheit lebendig hält.

Auf dem Motorrad von Dresden nach Murmansk XVI

Ein kurzer Rückblick…

12. Juli

Ich würde mir auch kein Zimmer geben. Verdreckt, zerstochen und unrasiert stehe ich an der Hotelrezeption in Murmansk. Die Frau hinter dem Tresen schaut skeptisch, zu Recht. Ich glaube, verwahrlost umschreibt meinen Zustand ganz gut. Meine letzte Dusche hatte ich vier Tage zuvor in Medveshegorsk. Zum Glück habe eine Reservierung. Medveshegorsk ist im Wesentlichen ein Eisenbahnknotenpunkt mit einer kleinen Stadt drum herum. Dem Hotel dort konnte ich nicht widerstehen, der Gedanke einen geruhsamen Fußballabend mit Chips, Bier und Halbfinale war zu stark. Hat sich aber auch gelohnt. Am nächsten Morgen nehme ich dann die letzten 700km bis Murmansk in Angriff. Die M18 führt schnurgerade nach Norden. Die Orte liegen weit auseinander. Fahren, fahren, fahren. Die Gegend ist alles andere als abwechslungsreich. Abends wird es schwierig, ein Nachtlager zu finden. Links und rechts der Straße erstreckt sich Sumpf.

Kein Zeltplatz

Kein Zeltplatz

Am Ende findet sich jedoch etwas. Die sonst sehr gute Straße ist an dieser Stelle eine gigantische Baustelle. Die Tankstellen werden gewöhnungsbedürftig.

Tanken im Nirgendwo

Tanken im Nirgendwo

Fahren, Kilometer fressen. Wald und Sumpf. Irgendwann dann der Polarkreis.

Am Polarkreis

Am Polarkreis

Ein kurzer Plausch mit russischen Motorradfahrern. Die M18 scheint eine beliebte Strecke zu sein. Fahren… Unterwegs noch der fällige Ölwechsel.

Kola-Halbinsel

Kola-Halbinsel

Fünftausend Kilometer bin ich schon unterwegs. Die Berge der Kola-Halbinsel kommen in Sicht. Die Landschaft wird zusehends karger. Und dreckiger. Die gigantische subarktische Landschaft mit ihren Flüssen und Seen inmitten niedriger Vegetation und schneebedeckten Bergen wird von völlig verwüsteten Arealen unterbrochen. Schornsteine vernebeln die Gegend. Es stinkt zum Himmel. In der Gegend um Montschegorsk, wo Nickel angebaut wird, ist es fast unerträglich. Eine übelriechende, apokalyptisch aussehende Mondlandschaft.

Mondlandschaft bei Montschegorsk

Mondlandschaft bei Montschegorsk

Wie in einem schlechten Film überfliegt noch ein Jagdbomber die Szenerie. Bodenschätze und Militärstützpunkte, damit ist die Bedeutung der Kola-Halbinsel umrissen. Der Wechsel von unberührt scheinender Waldlandschaft in diesen Albtraum ist erschütternd. Ich möchte nur noch schnell durch. Hinter Montschegorsk wird es besser.

Am letzten Tag macht die URAL auf einmal richtige Probleme. Unrunder Motorlauf, kein Zug mehr in den oberen Drehzahlbereichen. Diesmal sind alle Kontakte so, wie sie sein müssen. Hier scheint es ein ernsthaftes Problem zu geben. Ich tausche die Zündspule, da ich hoffe, dass das Problem aus dieser Richtung kommt. Es bringt nichts. Es gibt noch eine Chance. Ich wechsel das Zündmodul. Es funktioniert. Allerdings habe ich keine Ersatzteile mehr. Das Zeug muss jetzt dreitausend Kilometer halten. Es sind nur noch dreißig Kilometer bis Murmansk. Irgendwann bin ich da. Wie gesagt, leicht verwahrlost. So eine Dusche ist eine klasse Erfindung. Der Weg auf dem Motorrad von Dresden nach Murmansk ist geschafft.