Wir denken selbst noch darüber nach

Fünfter Januar 2014. Dunkle, kaltes Nieselwetter am Straßburger Platz in Dresden. Eine Handvoll lokaler Politiker von der SPD, der Grünen, der Linken und Vertreter der Kirche haben sich um einen kleinen Bauwagen versammelt. Sie wollen reden. Reden mit den Menschen, sich direkt auf der Straße den Fragen stellen. Die Tontechnik ist mittelmäßig, die Zahl der Interessenten zunächst gering. Auf der anderen Straßenseite sammelt sich direkt vor einer Bierkneipe ein Teil der PEGIDA-Demonstranten für ihre montägliche Veranstaltung. Es ist der eher „aktionsaffine“ Teil der Anti-Islam-Demonstranten. Die Polizei ist anwesend. Die Szenerie wirkt nicht sehr anheimelnd. Auch der Dialog mit den Bürgern könnte zunächst besser laufen. Ein Mann beschwert sich über seinen gewalttätigen tunesischen Nachbarn, eine ältere Frau liest einen Zettel mit einigen Gedanken vor, wegen denen sie dann direkt zur PEGIDA- Kundgebung geht. Beide Seiten, die Bürger und die Politiker wirken etwas ratlos, als wüssten sie noch nicht, wie sie mit dieser Situation, dem offenen Dialog auf der Straße umgehen sollen. Und dennoch ist der Versuch richtig, eine Fortsetzung unbedingt notwendig. Und das was gesagt wird, nachdenkenswert. Eine Frau spricht davon, dass man die Probleme bei der Unterbringung von Flüchtlingen nicht allein beim Sozialamt abladen könne. Einwohnerversammlungen erst abzuhalten, wenn das Problem akut wird, sei zu spät. Es ist Annekatrin Klepsch, Abgeordnete im sächsischen Landtag für die Linken. Politiker stehen als „Volksverräter“ im besonderen Fokus der PEGIDA. Mich interessiert, wie  Annekatrin Klepsch über PEGIDA denkt und ich verabrede mich mit ihr zu einem Gespräch.

Eine Woche später, am 13. Januar, sitze ich in ihrem Büro im Landtag. Normale Einrichtung, ein paar Bilder an den Wänden deuten auf die politische Heimat von Annekatrin Klepsch, 37, hin. Sie ist stellvertretende Fraktionsvorsitzende und Sprecherin für Kinder- & Jugendpolitik sowie Wissenschafts- & Hochschulpolitik. Ohne Umschweife kommen wir ins Gespräch.

 MD: Was bedeutet für Sie PEGIDA, das Phänomen, welches Dresden seit Wochen umtreibt?

 AK: PEGIDA ist ein Konglomerat aus Unzufriedenheit mit der Politik, aus Unwohlsein im Bezug auf ganz verschiedene politische Themen. Abstiegsängste spielen eine Rolle. Es zeigt sich, dass es gar nicht so sehr um den Islam geht. Es ist schwer zu fassen was, die vielen Mitläufer antreibt. Wir kennen das Positionspapier von PEGIDA, wir wissen, was Lutz Bachmann in seinen Reden sagt aber wir wissen nicht wirklich, was zehntausend oder fünfzehntausend Menschen für ein Motiv haben, da mitzugehen.

 MD: Auf dem Straßburgerplatz sprach eine ältere Dame, die für PEGIDA einstand.

 AK: Ich habe Respekt vor ihrem Mut, sich vor laufende Kameras und Mikrofone zu stellen. Im Gegensatz zu anderen, die dort zwar hingehen aber nicht sagen, was sie eigentlich bewegt. Gefährlich finde ich es, dass es dort eine Führerfigur gibt, Lutz Bachmann, der von Systempresse spricht, von der Gleichschaltung der Medien und das alles staatlich gelenkt sei. Sozusagen das komplette Diskreditieren der im Parlament vertretenen Parteien, von den Linken bis zur CDU, obwohl zwischen den Parteien inhaltlich Welten liegen.

 MD: Was sind die Ursachen für diesen flächendeckenden Frust? Sind es auch Nachwehen der „wilden Neunziger“? Menschen haben erfahren, dass sie zwar den neuen Pass haben aber dennoch nicht richtig dazugehören. Das spiegelt sich in Gehältern wieder, in Mediendarstellungen. Viele Leute fühlen sich als zweitklassig behandelt. Das macht sie anfällig für Populismus. Aus meiner Sicht ein Teil des Problems.

 AK: Zum wirtschaftlichen Transformationsprozess kam zu Beginn der Neunziger auch ein gesellschaftlicher Elitenaustausch. In allen Führungspositionen des Freistaates wurden erst einmal Zugewanderte installiert. Dieses erlebte Gefühl der Zurücksetzung spielt hier sicherlich auch mit rein. Zum Anderen merkt man aber auch, dass eine Saat aufgeht, die die NPD gesät hat. Rund um den dreizehnten Februar beispielsweise wurde immer wieder zivilgesellschaftliches Engagement gegen rechte Aufmärsche verunglimpft. Bis dahin, dass jetzt immer noch Leute vor Gericht stehen, weil sie irgendwann vor mehreren Jahren an einer Sitzblockade teilgenommen haben. Die Art und Weise, wie ein Staat damit umgeht, kann auch dazu führen, dass bestimmte Ressentiments geschürt werden.

MD: Ist Dresden besonders anfällig für rechtes Gedankengut? Eine Art Hot Spot der rechten Szene?

AK: Nicht die ganze Stadtgesellschaft. Aber es scheint schon ein Schauplatz zu sein für rechte Aufmärsche. 2005 hatte Dresden den bundesweit größten Naziaufmarsch rund um den 13. Februar. Das stille Gedenken an diesem Tag wurde nach der friedlichen Revolution von den Nazis benutzt, wurde umgedeutet. Vielleicht liegt es auch daran, dass wir seit einem Vierteljahrhundert von der CDU regiert werden, die dem lange nicht widersprochen hat. In anderen Bundesländern haben sich Bürgermeister, wie beispielsweise in Jena, an die Spitze der Gegenbewegung gestellt.

MD: Nun gab es ja am 9. Januar die Veranstaltung an der Dresdner Frauenkirche. Zehntausende demonstrierten für ein tolerantes und weltoffenes Dresden. Aufgerufen hatten dazu Ministerpräsident Stanislaw Tillich und Oberbürgermeisterin Helma Orosz, beide CDU. Es war eine überwältigende Veranstaltung. Aber ich hatte den Eindruck, dass unser Ministerpräsident nicht ganz freiwillig dort war.

AK: Es gab wochenlange Gegenproteste zur PEGIDA. Anfang Dezember gab es eine Erklärung der Fraktionsvorsitzenden der Stadtratsfraktionen, die dann Frau Orosz eingeladen haben, mit zu unterzeichnen, im Vorfeld des Sternmarsches am 8. Dezember. Dieser Sternmarsch war ein erster Teilerfolg, aber PEGIDA ist weiter gewachsen. Auf Bundesebene hat der Generalsekretär der CDU gesagt, dass man das Asylrecht verschärfen müsse. So etwas stärkt natürlich die Vorurteile und Behauptungen der PEGIDA-Anhänger. Sie sehen sich im Recht mit ihren Forderungen. Das erhoffte Abflachen der Demonstrationen um den Jahreswechsel blieb aus, Frau Orosz und Herr Tillich wollten dann plötzlich diese Demonstration mit 20000 Teilnehmern. Keiner der Akteure aus der Zivilgesellschaft, die vorher die Proteste organisiert haben, wurde in die Vorbereitungen einbezogen.

MD: Also vor vollendete Tatsachen gestellt?

AK: Es war wieder so eine Art Staatsdemonstration, was schwierig ist. Und wenn wir erleben, dass eben wieder über 20.000 bei PEGIDA waren, wäre es zwingend nötig gewesen, dass Frau Orosz am 10. Januar sagt: Liebe Dresdnerinnen und Dresdner, toll, dass sie heute da sind. Ich hoffe, wir sehen uns am Montag auf dem Postplatz wieder! Es ging offenbar erstmal darum, den Imageschaden von der Stadt abzuwenden, aus wirtschaftlichen, aus tourismuspolitischen Gründen, aus wissenschaftspolitischen Gründen. Aber das politische Aufarbeiten der Dinge, die darunter liegen, fand bis dahin nicht statt.

MD: Sind Bewegungen wie PEGIDA eine prinzipielle Gefahr für unsere parlamentarische Demokratie? Oder eher eine vorübergehende Erscheinung? Gibt es Parallelen zu Weimar?

AK: Der Gedanke ist mir nicht fremd. Ich würde es aber nicht als Gefahr einstufen. Ich glaube, wir haben jetzt noch die Chance, mit dem Großteil der PEGIDA-Anhänger ins Gespräch zu kommen. Das ist die Aufgabe der Politik. Ich bin der Landeszentrale für politische Bildung sehr dankbar, dass sie Foren schaffen, wo sich PEGIDA-Anhänger und Gegner austauschen können.

MD: Es gibt allerdings viele Menschen, die bei PEGIDA mitlaufen aber keine Nazis sind. Sie laufen mit, eben weil sie mit verschiedenen Dingen ein Problem haben und keine andere Möglichkeit sehen, wahrgenommen zu werden. Wie will man die erreichen? Man wird sie nicht in die Landeszentrale für politische Bildung kriegen.

AK: Nicht alle aber ein paar. Die Politik hat da eine Verantwortung, Medien haben eine Verantwortung, was sie berichten. In den letzten Jahren hatte man den Eindruck, dass viel Unpolitisches in den Dresdner Tageszeitungen stattfindet. Wirklich mal zu erklären, wie Asylpolitik in Deutschland funktioniert, wer herkommen darf, wie die Leute untergebracht sind, was ihnen für Leistungen zustehen, das müssen die Medien transportieren. Gleichzeitig haben wir auch Defizite in der politischen Bildung im Schulbereich. Wenn der Landesschülerrat wie im Dezember, einfordert, dass auch mehr politische Bildung und Gemeinschaftskunde an den Berufsschulen stattfinden möge, dann nehme ich das als Alarmsignal. Man muss auch Lehrer ermutigen, solche Debatten zu führen. Und ich muss ihnen vielleicht noch andere Akteure zur Seite stellen, die dort unterstützend moderieren können.

MD: Wenn Schuldirektor und Lehrer politisch unterschiedlich denken, was wird der Lehrer dann seinen Schülern sagen?

AK: Ich erlebe Teile unserer Lehrerschaft so, offenbar ein Erbe aus DDR-Zeiten, dass man abwartet, was von oben kommt. Dass Regierung und Kultusministerium sagen, was die Schule jetzt tun soll. Die Verunsicherung der Lehrer ist nachvollziehbar, weil es nach 1990 diskreditiert war, in der Schule einen politischen Standpunkt zu beziehen.

MD: Reden Sie als Politiker mit der PEGIDA-Führung?

 AK: Da haben wir als Linke eine ganz klare Position. Mit der PEGIDA-Führung sprechen wir nicht.

MD: Wer ist für Sie die PEGIDA-Führung?

AK: Es gibt das Orga-Team, offenbar bestehend aus zwölf Leuten, sechs sind bekannt. Und da sagen wir: Es gibt unsererseits kein Gesprächsangebot, weil dort menschenfeindliche, rassistische Positionen vertreten und geduldet werden. Das ist für uns kein Gesprächspartner. Etwas anderes ist es, mit den Mitläufern ins Gespräch zu kommen. Das tun wir, wenn es von uns eingefordert wird. Sollte der Fall eintreten, dass ein Dritter, sagen wir die Kirche oder die Landeszentrale für politische Bildung ein Forum schafft, wäre das ein geeigneter Rahmen für eine Auseinandersetzung.

MD: Wie würden Sie reagieren, wenn die PEGIDA-Führung auf Sie zukäme?

AK: Das werden sie nicht tun. Ich persönlich sehe im Moment keinen Anlass, darauf einzugehen, solange dort eine globale Beschimpfung und Verunglimpfung von Politikern, von Parteien und auch von Medien stattfindet.

MD: Wie gehen Sie persönlich mit diesen Angriffen um?

AK: Mich entsetzt es. Ich beobachte es mit Sorge. Ich bringe früh meine Kinder in die Kinderkrippe, fahre mit dem Fahrrad hier her in den Landtag und ich nehme für mich schon in Anspruch, relativ nah dran zu sein an dem, was viele Menschen bewegt. Auch außerhalb der Parteien. Wir halten Bürgerspechstunden ab, wir sind über das Internet erreichbar und wer das Gespräch mit uns sucht, der kriegt auch eine Antwort, solange es sachlich bleibt.

MD: Sie sehen also durchaus Möglichkeiten, den PEGIDA-Anhängern Gespräche anzubieten?

 AK: Den PEGIDA-Organisatoren biete ich keine Gespräche an.

MD: Ich spreche von der Masse, den Mitläufern. Leute, die sich nicht als Rechte sehen aber die Idee des christlich-jüdischen Abendlandes gar nicht so verkehrt finden.

AK: Das ist ja Unsinn, der Begriff des Abendlandes ist eine Konstruktion, die in verschiedenen Jahrhunderten zur Romantisierung oder Abwehr des Fremden diente!

MD: Man begegnet dieser Haltung auch bei Menschen, die ansonsten durchaus intelligente, nachvollziehbare Positionen vertreten.

AK: Vielleicht bedeutet das christliche Abendland nur die Holzpyramide aus dem Erzgebirge? (lacht)

MD: Intelligente Menschen identifizieren sich mit den Positionen von PEGIDA. Das finde ich beunruhigend. Der Riss geht quer durch die Gesellschaft. Man kann nicht sagen, dass es ein „Unterschichtphänomen“ ist.

AK: Deshalb ist es wichtig, die Debatte an ganz vielen Stellen zu führen. Was ich nicht machen werde, ist, mich an die Lingnerallee zu stellen, um ungeschützt mit Pegdia-Anhängern ins Gespräch zu kommen. Alle, die das bisher versucht haben, sind ja dort in der Regel abgewiesen worden, bis auf wenige Ausnahmen. Ich sehe darin auch keine Lösung. Da ist eine Masse unterwegs, die sich selbst bestätigt. Ich kann niemandem eine Debatte aufzwingen. Wir sind als LINKE auf facebook präsent und da merkt man schon, dass es Leute gibt, die uns signalisieren: „Eigentlich haben wir Euch ja gewählt aber PEGIDA hat ja nicht unrecht.“ Mit denen kann man diskutieren, die wollen diskutieren. Nach meiner Beobachtung sind es ja nicht alles Langzeitarbeitslose, die dort mit mitlaufen, sondern eher Mittelschichtangehörige. Spannend ist die Frage, inwieweit die sich bisher politisch beteiligt haben.

MD: Ich denke, es gibt einen Zusammenhang zwischen niedriger Wahlbeteiligung und dem, was hier gerade passiert. Menschen, die denken, dass sie sowieso keinen Einfluss haben, Politikverdrossene, sehen PEGIDA womöglich gerade als Plattform. Auch unter dem Motto: Das wird man ja wohl noch sagen dürfen!

AK: Das Politikverdrossenheit entstanden ist, kann ich nachvollziehen. Nicht, weil ich PEGIDA rechtfertigen oder verteidigen will, überhaupt nicht, aber ich erlebe es ja selber als Abgeordnete. Politik in unserer Zeit ist ein hochkomplexes System, mit vielen verschiedenen Ebenen. Themen werden auf Bundesebene verhandelt, auf Landesebene, auf kommunaler Ebene. Das ist manchmal schwer zu durchschauen. Eigentlich ist es eine Errungenschaft der Demokratie, dass bei Entscheidungen viele Institutionen gehört werden müssen. Aber es macht es auch schwer durchschaubar, wer über was entscheidet und warum es am Ende anders beschlossen wird als am Anfang gewollt.

MD: Was kann man da machen?

 AK: …(überlegt lange)

 MD: Eine entscheidende Frage!

AK: Man muss zur Auseinandersetzung ermutigen. Man muss Gespräche anbieten. Ich hab es selber gemerkt beim Thema Betreuungsschlüssel in den Kindertagesstätten. Das ist nun ein Thema, welches viele Eltern bewegt und auch viele Erzieherinnen. Aber schon da haben wir gemerkt, wie viele Leute überfordert sind, das Zusammenspiel zwischen kommunaler Ebene, Städten, Gemeinden, der Landesregierung, Einrichtungsträgern und Haushaltsfragen zu verstehen. Da kann ich nur immer wieder ermutigen: Bleiben Sie dran, verfolgen Sie das genau und fordern sie es immer wieder ein.

MD: Was erwarten Sie in der jetzigen Situation von den Bürgern?

AK: Ich erwarte, dass sich alle Seiten sachlich mit dem Thema und aktuellen Fragen auseinandersetzen. Mitunter müssen auch Wissenslücken gefüllt werden. Auch wir als Politiker müssen permanent dazulernen. Niemand kann bei allen Themen den Überblick haben, das ist klar. Aber gerade wenn es darum geht, Vorurteile gegenüber anderen Menschen, anderen Menschengruppen zu äußern, muss man sich mit den Problemen beschäftigen, statt etwas nachzuplappern, was man irgendwo aufgeschnappt hat. Und da begegnen einem ja in den Auseinandersetzungen mit PEGIDA die seltsamsten Vorurteile und Behauptungen.

 MD: Haben Sie das Gefühl, dass die Probleme in den Flüchtlingsunterkünften verharmlost oder negiert werden? Sowohl in der Politik als auch in den Medien?

AK: Ich glaube nicht, dass diese verharmlost werden. Weil ja die Anwohner wahrnehmen, wenn die Polizei kommen muss. Aber die Frage ist ja, warum kommt es dort zu Konflikten und ich behaupte, wenn man fünfzig oder hundert deutsche Männer in Vier- und Achtbettzimmer sperrt, ohne Beschäftigung, steht auch sehr bald die Polizei vor der Tür.

MD: Wenn man es positiv sehen will, hat PEGIDA einen Denkanstoß gegeben. Ein Zeichen, dass etwas im Argen ist. Brauchen wir ein neues Asyl- und Einwanderungsrecht oder ist das, was wir haben, ausreichend?

AK: Das sind zwei verschiedene Dinge. Ein Zuwanderungsgesetz hat die Bundesrepublik nicht. Was wir haben, ist ein Asylrecht. Und dort spielen internationale Vereinbarungen hinein, wie die Genfer Flüchtlingskonvention.

MD: Brauchen wir ein Einwanderungsgesetz?

AK: Auch wenn es ein Einwanderungsgesetz gäbe, ist noch nicht die Frage geklärt, wie wir mit unseren Flüchtlingen umgehen. Wie streng handhaben wir Asylrecht? Das Asylrecht ist ja deutlich verschärft worden, durch DUBLIN und FRONTEX auf EU-Ebene, durch die Bundesregierung in den neunziger Jahren und erst kürzlich in der Frage Abschiebung in sogenannte sichere Drittstaaten. Wir als Linke haben gesagt, dass man keine Menschen in Balkanstaaten abschieben kann. Dort ist die Unterbringung der Flüchtlinge menschenunwürdig. Wir als Linke finden es nicht richtig, dass auf EU-Ebene viele hundert Millionen in FRONTEX gesteckt werden, in eine noch bessere, sichere Bewachung der EU-Außengrenzen anstatt das Geld auszugeben, um diesen Menschen vor Ort zu helfen oder sie hier zu integrieren.

MD: Ist Asylrecht aus Ihrer Sicht zu restriktiv?

AK: Aus unserer Sicht ist es zu restriktiv, na klar!

MD: Was sollte konkret gelockert werden? Außer der Abschiebepraxis in vermeintlich sichere Drittstaaten?

AK: Auch die Einstufung von Herkunftsländern. Tunesien ist als sicheres Land eingestuft worden. Dafür gab es viel Kritik. Man könnte auch sogenannte Resettlement–Programme ausweiten. Dass man einer größeren Anzahl von Kriegsflüchtlingen anbietet, hier zu bleiben. Kinder von Asylbewerbern werden hier geboren, gehen hier zur Schule und wenn sie 18 sind, werden sie plötzlich abgeschoben.

 MD: Viele Leute wissen viel zu wenig über die Hintergründe der Flüchtlingsproblematik. Wie kann man das transparenter gestalten? Wie geht man damit um, dass mit diesem Thema Stimmenfang betrieben wird?

AK: Die Aufnahme von Flüchtlingen ist eine humanitäre Verpflichtung! Punkt. Politik muss Entscheidungen transparenter machen und besser erklären. Und wir müssen dafür werben, dass kulturelle und religiöse Vielfalt sowie Zuwanderung eine Bereicherung und keine Gefahr sind. Gleichzeitig müssen Waffenexporte durch die Bundesregierung gestoppt werden.

MD: Kriegt man das Problem PEGIDA nur in den Griff, wenn man Parteipolitik mal für eine Weile beiseite lässt? PEGIDA führt ja auch einen Rundschlag gegen alle Politiker. Stichwort Volksverräter…

AK: Es gibt selten Momente, wo Politik versucht, überparteilich zu agieren. Das ist meist nur an Gedenktagen der Fall. Bei PEGIDA wird es nicht gelingen, schon weil die parteipolitischen Positionen in Fragen des Asylrechts, in Fragen der Entwicklungspolitik bis hin zur Rüstungspolitik soweit auseinanderliegen. Wir sagen als Linke: Politik schürt kriegerische Auseinandersetzungen und Konflikte in anderen Ländern, wenn man weiterhin drittgrößter Waffenexporteur ist. Weil man nie garantieren kann, wer am Ende die Waffen hat. Der kleinste gemeinsame Nenner besteht, glaube ich, wohl im Moment darin, zu sagen, wir müssen mehr Aufklärung leisten. Zum Thema Flüchtlingspolitik, Flüchtlingsunterbringung. Wir müssen die Flüchtlinge besser betreuen, die Rahmenbedingungen verbessern, so dass es in den Unterkünften nicht zu Konflikten kommt, zwischen den Flüchtlingen und auch nicht mit den Anwohnern. Das ist ein Konsens. Aber am Ende sind wir wieder bei Haushaltsfragen. Wie viel Steuergeld soll nachher aufgewandt werden, um bessere soziale Betreuung zu garantieren oder auch beispielsweise Sprachkurse zu finanzieren?

MD: Ich behaupte, wenn sich das Problem nicht Montag für Montag durch Dresden wälzen würde, würde man in bestimmten Kreisen keinen Handlungsbedarf sehen.

AK: Möglicherweise. Man hat ja an verschiedenen Stellen versucht, das auszusitzen. Das hat nicht funktioniert. Was mich schon länger besorgt, mal jenseits von PEGIDA, ist ja die Tatsache, dass das Bildungsniveau und die Wahlbeteiligung an vielen Stellen korrelieren. Und dass wir bundesweit erleben, das eben insbesondere Menschen, die gesellschaftlich und sozial ausgegrenzt sind, denen es wirtschaftlich weniger gut geht, die ein niedriges Bildungsniveau haben, dass bei denen der Anteil der Nichtwähler deutlich steigt. Das können Sie in Dresden beobachten, am Weissen Hirsch, am Elbhang, wo überwiegend Akademiker leben, da haben sie eine Wahlbeteiligung, je nach Wahlen, zwischen 70 und 90 %. In Prohlis, in Gorbitz, wo wir die höchsten Armutsgebiete und Armutsquoten haben, haben Sie eine Wahlbeteiligung von 25 bis 35%. Das heißt, dass natürlich auch zum Teil in der Politik bestimmte gesellschaftliche Schichten überrepräsentiert sind. Im Parlament, durch die Parteien, die sie wählen. Andere, die eben nicht wählen gehen, finden dann auch nicht statt, weil ihre Themen nicht stattfinden. Aber ich kann niemanden zur Wahl zwingen. Ich kann nur sagen, dass als LINKE sind meine Themen, dass biete ich Euch an.

MD: Man kann also nicht einfach zum Ausgangspunkt zurückgehen?

AK: Es mag sein, dass diese Montagsdemos irgendwann rückläufig sind. Es würde an anderer Stelle wieder ausbrechen.

MD: Frau Klepsch, vielen Dank für das Gespräch.

 AK: Sie sehen, wir sind als Partei besorgt und denken selbst noch darüber nach… (lacht)