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Besorgte Bürger

Besorgte Bürger …ich kann es nicht mehr hören. Eine Welle der Gewalt und des Hasses baut sich in Sachsen auf. Ja, hier in Sachsen. Es ist ein einheimischer Fakt. Das Wort Phänomen ist eine unzulässige Verschleierung. Wenn man sich die hassverzerrten Fratzen der Meute anschaut, die da vor Flüchtlingsheimen „protestiert“, beziehungsweise pöbelt und randaliert, fragt man sich schon, ob man hier im richtigen Film ist.

Ja, die Flüchtlingsfrage ist definitiv ein Herausforderung mit Sprengkraft. Und definitiv gibt es unter den Asylsuchenden auch Leute, denen das Wort Problem im Gesicht geschrieben steht. Aber das rechtfertigt niemals die Ausbrüche dumpfen Hasses, der sich dieser Tage in und um Dresden zeigt. Menschen kommen nach Deutschland weil sie um ihr Leben fürchten, weil sie politisch verfolgt werden und ja, viele kommen auch einfach, weil sie glauben, hier besser leben zu können. Ist dies bereits ein Verbrechen? Berechtigt dies, diese Menschen physisch zu bedrohen genau wie die Menschen, die ihnen helfen wollen? Unser christliches Erbe wird von Populisten gern zitiert. Soweit ich mich erinnern kann, spielt Nächstenliebe dort eine gewisse Rolle. Was sich derzeit in Freital, Meißen und anderen Orten abspielt ist nicht anderes als praktizierte Unmenschlichkeit. Oft auch feige, denn in der Meute fühlt man sich dann doch stark. Letztendlich Selbsthass aus eigener gefühlter Schwäche, aus Charakterlosigkeit auf andere projiziert? Begleitet von Kommentaren wie: „Ich bin ja kein Rechter, aber….“ oder „Das wird man ja wohl noch sagen dürfen.“ Besagte Besorgte Bürger legen ihre Stirn in Falten, sehen die Demokratie bedroht und merken nicht, oder wollen nicht merken, dass gerade sie eine Gefahr für ebendiese Demokratie sind. Demokratie heißt Diskurs und nicht pöbeln, prügeln und brandstiften. Und dieses auch nicht stillschweigend gut heissen. DDR-Vergangenheit hin oder her, das sollte man mittlerweile begriffen haben. Die Flüchtlingsströme haben Ursachen und man löst das Problem nicht, in dem man auf die Opfer einschlägt, ob nun verbal oder physisch. Man kann trefflich darüber streiten, ob die Politik der Bundesregierung, der Bundesländer oder der Europäischen Union in der Flüchtlingsfrage immer richtig und zielführend ist. Da ist sicher „Luft nach oben“, wie man so schön sagt. Aber die Kritik gehört dann auch genau an diese Adresse. Und zwar auf demokratischem Weg. Den betroffenen Menschen muss man erstmal helfen. Einen Asylantrag zu stellen, ist weder illegal noch schäbig. Jeder Mensch hat überall auf der Welt das Recht, Asyl zu beantragen. Ob dem Antrag dann stattgegeben wird, entscheidet der aufnehmende Staat und zwar auf der Grundlage demokratisch legitimierter Gesetze und humanitärer Regeln. Und eben nicht der Mob!

In der ZEIT stand heute ein sehr interessanter Artikel –Der neue Name der Rechten. Die Meinung des Autors ist sicher an einigen Punkten streitbar aber ist ein Kommentar und somit eine MEINUNG. Interessant und erhellend einige Reaktionen im anschließenden Online- Forum. Nazis erkennt man ihren Taten und nicht an pseudokorrekten Bezeichnungen wie Besorgte Bürger!

„Es wird mittlerweile als erwiesen angesehen.“

Dieser Satz begegnet mir in Variationen in den Medien täglich mehrmals. Und ich mag ihn mittlerweile nicht mehr lesen noch hören. Worum geht es? In der Ukraine, also in Europa, tobt ein Bürgerkrieg. Ein Krieg, dessen Ursachen lange zurückliegen. Nicht erst die Ereignisse auf dem MAIDAN haben ihn verursacht und auch nicht die „kalte“ Annexion der Krim durch Russland. Dies waren höchstens die Auslöser. Wer verstehen will, warum die Kriegsparteien aufeinander einschlagen, muss bis in die Zeit der Sowjetunion zurückgehen und ebenfalls die Jahre unmittelbar nach ihren Zerfall betrachten – siehe „Stalins Erben und die Arroganz der Sieger“. Die Situation in der Ukraine ist, nach allem, was man in den Medien erfährt, eine Katastrophe, in allererster Linie für die Bevölkerung. Die Separatisten kämpfen, die ukrainische Armee kämpft, und zwischendrin versuchen Menschen zu überleben, die dort einfach nicht mehr weg können. Und das Überleben scheint von Tag zu Tag schwerer zu werden. Mit dem Abschuss der malaysischen Boeing – wer auch immer diesen Abschuss zu verantworten hat- sollte auch dem letzten Ignoranten klar geworden sein, dass dies kein Konflikt von regionaler Bedeutung mehr ist. Die direkten Kriegsparteien können sich wohl nicht mehr einigen. Zuviel Unvorstellbares ist auf beiden Seiten passiert. Dieser Konflikt kann nur noch von außen beendet werden. Durch eine Einigung des Westen, in diesem Falle der EU und der USA auf der einen Seite und Russlands auf der anderen. Und hier wird aus meiner Sicht ein unverantwortliches Spiel gespielt- von beiden Seiten. Seit Monaten hört man nichts Anderes als Schuldzuweisungen und Drohungen. Der Westen verhängt Sanktionen und die russische Regierung kontert mit der Erhöhung der Energiepreise. Wenn nicht soviele Menschen darunter leiden würden und soviel europäische Zukunft auf dem Spiel stehen würde, könnte man fast darüber lachen. Es erinnert mich an eine Geschichte aus meinem Lesebuch der ersten Klasse – „Die zwei kleinen Ziegenböcke“. Am Ende lagen beide im Wasser.

Ja, Russland hat riesige Demokratiedefizite. Siebzig Jahre Sowjetmacht stalinistischer Prägung waren ein Fluch und ein Albtraum für dieses Land. Es wird noch lange brauchen, um diese Zeit wirtschaftlich und gesellschaftlich zu überwinden. Zu groß ist noch die Überzeugung, dass das Ende der Sowjetunion und der damit verbundene Verlust des Supermachtstatus‘ ein historisches Unrecht ist. Ich habe sie in Sankt Petersburg, in Archangelsk, in Murmansk gesehen, die Parolen „Danke, Großvater für den Sieg!“ An Autos von jungen Menschen, deren Großväter im Krieg wahrscheinlich selbst noch Kinder waren. Hier entsteht, oder existiert wahrscheinlich schon, eine gefährliche Bunkermentalität. Wir gegen die. Und der Westen tut viel dafür. Ich denke, das System Putin ist für Russland auf Dauer nicht gut. Aber das Verhalten des Westens, seine Politik, seine Medien arbeiten ihm zu. Russland wird mit Schuldzuweisungen überhäuft, Beweise werden angekündigt und bleiben dann aus. „Es wird mittlerweise als erwiesen angesehen!“ Ist es erwiesen oder nicht? Der Abschuss eines Passagierflugzeuges ist eine Katastrophe, die man sich als Nichtbetroffener wohl kaum vorstellen kann. Und wenn es aus Kalkül geschieht, ein ungeheuerliches Verbrechen. Bevor man allerdings jemanden eines derartigen Verbrechens bezichtigt, sollte man Argumente, sprich Beweise, haben. Das Verbrechen ohne Beweise zu instrumentalisieren ist moralisch fragwürdig. Niemand reagiert gelassen, wenn er mit einem derartigen Vorwurf konfrontiert wird. Die ZEIT geht hier, wie so oft, wieder einmal mit „gutem“ Beispiel voran. „Der Krieg wird nicht am Absturzort entschieden“– so der Titel eines Kommentares von CARSTEN LUTHER vom 31.07.2014.

ZITAT: Doch parallel zu den territorialen Verlusten wird die militärische Ausstattung der Rebellen besser. Nur so konnte es zum Abschuss des Malaysia-Airlines-Passagierflugzeugs kommen. ZITATENDE.

Es steht also bereits fest, zumindest für Herrn Luther, wer hier der Verbrecher ist. Demgegenüber meldet die FAZ am 02.08.2014 dass Ermittler aus den Niederlanden und Australien am Absturzort nach Ursachen suchen. Vielleicht sollte Herr Luther sein Wissen den Ermittlern zur Verfügung stellen.

Zugegeben, die ukrainische Armee geht auch nicht gerade zimperlich vor, wie der ZEIT-Artikel festhält:

ZITAT: Human Rights Watch macht auch der ukrainischen Armee Vorwürfe: Sie habe wenig präzise Grad-Raketen (die aber ebenfalls von den Separatisten eingesetzt werden) in dicht bewohnten Gebieten eingesetzt. Die Organisation spricht von Kriegsverbrechen. ZITATENDE.

Aber das geht für Herrn Luther völlig in Ordnung:

ZITAT: Die zusammengewürfelten und teils schlecht ausgebildeten ukrainischen Truppen kämpfen mit allem, was ihnen zur Verfügung steht. ZITATENDE.

Denn sie haben ja keine Wahl:

ZITAT: Mit jedem Raketenwerfer, jeder Kiste Munition, jedem Kämpfer, der von russischer Seite über die Grenze ins Land gelangt, hat die Ukraine immer weniger die Wahl: Sie muss ihre Militäroffensive gegen die Separatisten im Osten fortsetzen. Denn Russland ist offenbar nicht bereit, irgendetwas zu unternehmen, um den Nachschub für die Milizen zu unterbinden oder sich auch nur von ihnen deutlich zu distanzieren. ZITATENDE

Auch hier werden die alten Vorwürfe ohne jeden Beleg wiederholt. Um es einmal noch einmal klarzustellen: wenn Russland die Separatisten unterstützt, ist die internationale Gemeinschaft gefordert dies zu unterbinden. Genauso wie sie dann gefordert ist, das Vorgehen der ukrainischen Armee und der Nationalgarde zu stoppen. Die Vorwürfe müssen allerdings belegt werden, sonst wird genau das Gegenteil erreicht. Jede Seite fühlt sich im Recht und ermutigt, weiter zu machen. Und inzwischen sterben Menschen für perverse Machtspiele aller beteiligten Parteien. Mit Artikeln wie dem oben zitierten leisten die Medien der Eskalation Vorschub. Wir haben Meinungsfreiheit. Solange keine Gesetze verletzt werden, darf jeder schreiben, was er will. Meinungsfreiheit bedeutet aber auch, dass niemand per se die Deutungshoheit über Ereignisse beanspruchen kann. Behauptung statt Argumentation als Stilmittel? Behauptungen sollte man im eigenen, journalistischen, Interesse belegen können. Es ist mittlerweile als erwiesen anzusehen, dass Teile der deutschen Medienlandschaft ein massives Glaubwürdigkeitsproblem haben. Und das ist für eine demokratische Gesellschaft, die wir trotz aller Schwierigkeiten sind, niemals gut.

 

Ist Steinmeier enttäuscht und wütend?

Ist Steinmeier enttäuscht und wütend? Düpiert Putin Steinmeiers Ostpolitik? Ja, glaubt man dem Artikel von Jörg Lau auf der Titelseite der ZEIT. Ein seltsamer Artikel, der in einigem Widerspruch zum Interview mit ebendiesem Frank-Walter Steinmeier steht, nur eine Seite weiter. Jörg Lau wiederholt gebetsmühlenartig die immer gleichen Stereotype:  Russland provoziert, pro-russische Kräfte bringen das Land an den Rand des Bürgerkriegs, Putin destabilisiert die Ukraine…  Die übliche, undifferenzierte Schwarzweiß-Malerei, die Art Erklärungen zu liefern, ohne sie belegen zu können – nicht ungewöhnlich für die ZEIT in den letzten Wochen. Man könnte es gähnend zur Seite legen.

Aber das Interview selbst ist dann doch ganz anders, wesentlich ausgewogener.  Das macht den Artikel von Jörg Lau ziemlich lächerlich. Man erlebt einen nachdenklichen, reflektierenden Politiker, der auch darüber spricht, was in der Vergangenheit schiefgelaufen ist zwischen Russland und dem Westen. Die osteuropäische Erweiterung der NATO, die dieser Tage oft als Begründung für die Haltung der russischen Regierung herangezogen wird, betrachtet er differenziert.  Ja, aus seiner Sicht war die Osterweiterung richtig, zu schlecht waren oft die Erfahrungen der  osteuropäischen Staaten mit der Sowjetunion. Ob daraus zwingend die Aufnahme der ehemaligen Staaten des Warschauer Vertrages in NATO folgen musste, darüber kann man geteilter Meinung sein. Wichtig erscheint mir folgende Aussage im Interview:

ZITAT: Leider ist es im NATO-Russland-Rat nicht gelungen, die unterschiedlichen Interessen und Erwartungen offen und aufrichtig auszudiskutieren. Sooft ich dabei war, blieb das im protokollarischen Ritual hängen. Das war ein Fehler. ZITATENDE

Ein ganz entscheidender Satz, den ich mir so schon früher gewünscht hätte. Die heutige Situation in der Ukraine ist die Summe der gemachten politischen Fehler der letzten zwanzig Jahre – auf beiden Seiten. Den Anderen akzeptieren, trotz unterschiedlicher Auffassungen, das ist beiden nicht gelungen. Dem Westen nicht und auch nicht Russland. Irgendwie hatte man das Gefühl, der Kalte Krieg war nie so richtig vorbei  – das Misstrauen der Amerikaner den Russen gegenüber und umgekehrt. Da hat sich keine Seite mit Ruhm bekleckert. Hier ist Europa gefordert. Eben nicht der dumpfen Russenphobie zu folgen, die scheinbar die amerikanische Politik bestimmt, sondern auf Russland zu zugehen, ohne sich anzubiedern. Das ist eine verdammt schwere Aufgabe. Hier kommt ein weiteres Statement Steinmeiers ins Spiel. Auf die Frage, ob er eine Intervention Russlands in der Ostukraine befürchtet (eine Frage, die uns wohl alle umtreibt), antwortet er:

ZITAT: Das wäre ein schwerer Fehler. Ich glaube übrigens auch nicht, dass es einen Masterplan und ein festes Drehbuch gibt, dem das russische Vorgehen folgt. Es spricht vieles dafür, dass Russland das eigene Verhalten situativ fortentwickelt. Dabei ist Moskau auch getrieben von nationalen Stimmungen, die von der russischen Führung selbst gefördert wurden. ZITATENDE

Das ist erstaunlich. Es widerspricht dem, was von den meisten (deutschen) Medien, und leider auch Politikern seit Wochen suggeriert wird – der russische Bär wartet angeblich nur darauf, seine alte Sowjethöhle wieder zu beziehen. Über dieses Statement Steinmeiers sollten auch polnische, baltische und tschechische Politiker zumindest nachdenken.  Wer situativ handelt, mit dem kann man (meistens) verhandeln.

Ja, Russland hat seine eigenen Interessen und Europa wäre schlecht beraten, immer und überall nachzugeben. Die gewaltsame Verschiebung von Grenzen muss im 21. Jahrhundert einfach ein Tabu sein, da hat Steinmeier uneingeschränkt recht. Die Situation in der Ukraine ist verfahren aber sie ist auch eine Chance. Dazu Steinmeier:

ZITAT: Aber uns in Europa hat es (die Krimkrise-d.A) geholfen, die Bedeutung von Außen- und Sicherheitspolitik wieder zu entdecken. Die gegenwärtige Krise zeigt, dass eine in Jahrzehnten aufgebaute und scheinbar tragfähige Sicherheitsstruktur der ständigen Absicherung und Erneuerung bedarf.. .Aber auch die NATO muss sich selbst prüfen und klären, ob sie die richtigen Schwerpunkte setzt. ZITATENDE

Es ist an der Zeit, sowohl für den Westen als auch für Russland (und in Zukunft vielleicht auch für China) zu erkennen, wie man Interessenskonflikte miteinander löst-ohne Säbelrasseln und ohne hohle Kriegsrhetorik und ohne Unterwürfigkeit und Anbiederei. Weder Russenphobie noch platter Antiamerikanismus helfen da weiter.

Insgesamt ein sehr lesenswertes  Interview. Ernüchternd, aber Enttäuschung oder gar Wut, wie uns Herr Lau suggerieren wollte? Fehlanzeige! Eher stellt sich die Frage, ob es hier nicht um Enttäuschung darüber geht, dass Frank-Walter Steinmeier nicht in die absonderliche Kriegsrhetorik verfällt, die man mittlerweile seitens der Medien (auch seitens der ZEIT) gewöhnt ist.  Nochmal ein Zitat des Interviews:

ZITAT: Ich weiss nicht, warum manche geradezu begierig auf den Beweis des Scheiterns kooperativer Politikmodelle warten. Konfrontation und Selbstisolation sind kein Weg und schon gar kein Ausweg. ZITATENDE

 

Wer spaltet Europa wirklich?

Etwas scheint bei den Medien angekommen zu sein, zumindest bei der ZEIT. Bernd Ulrich schreibt darüber, dass Putin Europa spaltet.

Allerdings steht in diesem Artikel sehr deutlich eine andere Frage im Raum:  ZITAT:…dann stehen zurzeit zwei Drittel der Bürger, Wähler, Leser gegen vier Fünftel der politischen Klasse, also gegen die Regierung, gegen die überwältigende Mehrheit des Parlaments und gegen die meisten Zeitungen und Sender (ZITATENDE).

Böswillig interpretiert: Wie kommt das Volk zu einer anderen Meinung als die Eliten (wie auch immer man sie definiert)?

Der Autor ist irritiert über die Argumente, schließlich ginge es hier um ZITATden Konflikt zwischen einem aggressiven Autokraten und den westlichen Demokraten. ZTATENDE.

In dieser Fragestellung liegt bereits der Beginn einer Antwort. Es geht eben nicht darum. Ja, Wladimir Putin ist ein aggressiver Autokrat. Aber den Widerspruch, der im Artikel beklagt wird, darauf zu reduzieren ist meiner Meinung nach der falsche Ansatz. Seit Beginn (oder Verschärfung) der ukrainischen Krise gibt es wenig ausgewogene Berichterstattung. Ja, diese Ausgewogenheit darf von den Lesern erwartet werden, auch wenn dies im Artikel in Frage gestellt wird, mit der Begründung, dass es um die  Legitimität des Völkerrechts geht. Und das rechtfertigt eine indoktrinäre Berichterstattung? Nach dem Motto, dass dies das Volk sowieso nicht begreift?  Man mag es nicht glauben.

In den Medien (auch in den sogenannten Leitmedien) wird immer wieder unterstellt, dass jeder, der auch nur ansatzweise die Handlungen der EU und der USA in Frage stellt, einer Annexion der Krim das Wort redet. Der demagogische, diffamierende Begriff des Putinverstehers ist allgegenwärtig. Den oben erwähnten Bürgern, Wählern und Lesern scheint nicht zugetraut zu werden, selbst zu urteilen. Darüber bin ICH bestürzt. Und es fehlt mir jedes Verständnis für diese Denkweise. Auch wenn die Medien sich selbst als Getriebene darstellen. Die Medien sollen ihren Lesern nicht nach dem Mund reden, beziehungsweise schreiben. Meinungsfreiheit ist ein hohes Gut. Aber man darf nicht larmoyant werden, wenn nicht alle der Meinung ausgewählter Autoren folgen.

Es für viele Menschen unbegreiflich, und für einige auch unerträglich, wie dogmatisch derart komplexe Vorgänge wie in der Ukraine pauschal in schwarz und weiß, beziehungsweise gut und böse unterteilt werden. Um es noch einmal klarzustellen, Russlands Griff nach der Ukraine, einschließlich der Krim, ist zu verurteilen. Dafür gibt es kein Verständnis, wohl aber Erklärungen. Und die sind sehr nötig, um die Krise zu meistern. Und dazu gehört die unbequeme Frage, welchen Beitrag der Westen geleistet hat, dass die Situation sich jetzt so darstellt. Nur wenn man diese Fragen ehrlich beantwortet, finden sich Lösungen. Es hilft nicht, sich auf einen moralischen Sockel zu stellen, dessen Fundament man in der Vergangenheit durch seine eigenen Handlungen schwer beschädigt hat. Wenn man die Argumentation vieler Politiker und Medien konsequent zu Ende denkt, muss man einen Krieg gegen Russland zumindest mal in Betracht ziehen. Die Äußerungen des tschechischen Präsidenten sind da nicht ganz eindeutig. Ist das gewollt?  Kein Mensch will den Krieg aber in Politik und Medien entsteht der Eindruck, dass man diesen zumindest in Kauf nehmen würde. Wenn kritischen Stimmen dann noch unisono diffamiert werden, braucht man sich nicht zu wundern.

Ich glaube, dass die ukrainische Krise für viele, die hier als Putinversteher gebrandmarkt werden, einfach  ein Anlass ist, ihre Unzufriedenheit auszudrücken.  Es ist tatsächlich so: Zitat: Die Mehrheit empfindet nicht nur gegenüber Washington diese unheilvolle Mischung von fremder Anmaßung und eigener Ohnmacht, sondern auch gegen Brüssel. Im Fall der Krimkrise kommt beides zusammen. Zitatende.

Die Menschen empfinden eine zunehmende Differenz zwischen sich und ihren, zugegeben gewählten, Vertretern. Das Resultat ist eine unterschwellige, bisweilen offene, zunehmend aggressive  Unzufriedenheit. Politiker und Parteien werden ohnmächtig verachtet, zum Teil als Vasallen der USA begriffen, die Medien als ihre Erfüllungsgehilfen gesehen. Die Foren der Online-Ausgaben großer Tages- und Wochenzeitungen sprechen da Bände.  Und das ist richtig gefährlich.

ZITAT: Die EU spannt gern mal ein Drahtseil über ihre Legitimationslücken und tanzt darauf Tango. ZITATENDE.

Besser kann man es nicht ausdrücken. Wer spaltet Europa wirklich? Europa als Institution entfernt sich immer mehr von seinen Bürgern –und das ist die Ursache der Spaltung. Putin nimmt sich, was sich anbietet.

Ich finde den Artikel gut, erstellt aus meiner Sicht viele richtige Fragen. Meine persönlichen Antworten sehen anders aus aber das ist eben Meinungsfreiheit.

 

 

 

Ja, ich bin ein Putinversteher

Putinversteher scheint  zum geflügelten Wort zu werden. Höchstselbst ins Spiel gebracht vom Herausgeber der ZEIT, Josef Joffe. Wohl abwertend allen gegenüber, die es nach seiner Meinung  immer noch nicht verstanden haben. DER RUSSE IST DER FEIND, VERDAMMT NOCHMAL! War er ja schließlich schon immer, DER RUSSE, nicht wahr…

In den vergangenen Wochen konnte ich mich des Gefühls nicht erwehren, das (un)selige NEUE DEUTSCHLAND sei in Form von ZEIT und SPIEGEL wieder auferstanden.

Schade, ich habe Josef Joffe als Journalist immer geschätzt obwohl seine Standpunkte oft nicht meine eigenen waren. Aber schreiben kann der Mann. Der verlinkte Artikel ist gut gemacht – er liest sich. Andererseits zeugt es eben nicht gerade von Größe, wenn man Andersdenkende pseudointellektuell (in diesem Falle pauschal als Putinversteher) abqualifiziert. Seine Analyse der betreffenden Gruppen ist aus meiner Sicht durchaus zutreffend. Ja, es gibt sie alle, so wie sie beschrieben wurden. Aber er vermittelt sehr geschickt den Eindruck, jedes Hinterfragen der Rolle des Westens in der ukrainischen Krise wäre irgendwo zwischen Böswilligkeit und politischer Blindheit angesiedelt. Und hier überschreitet er die Grenze zu Demagogie. Ich kann mir nicht vorstellen, dass es unbewusst passiert. Vielleicht ist es auch eine trotzige Reaktion, weil er sich nicht eingestehen kann, dass der Westen (so man ihn als homogene Einheit begreift) in Bezug auf Russland versagt hat. Putins Vorgehen ist in keiner Weise akzeptabel. Aber letztendlich ist die „kalte“ Annexion der Krim der vorläufig letzte Akt einer Entwicklung, die mit dem Zerfall der ehemaligen Sowjetunion begann. Der alte Machtapparat des Kreml existierte weiter- auch wenn neue Namen auftauchten. Der Verlust der alten Sowjetunion wurde nie akzeptiert. Spätestens seit der zweiten Amtszeit Putins standen die Zeichen auf Restauration. Und damals hätte der Westen reagieren müssen. Durch eine konsequente Einbindung Russlands und das setzt wiederum voraus, dass man Russland als Verhandlungspartner respektiert, auch bei unterschiedlichen Standpunkten. Wenn man aber immer wieder klarmacht, dass man diesen Respekt eben nicht hat, braucht man sich nicht zu wundern, wenn die Gegenseite irgendwann abweisend reagiert. Was also nun? Im Augenblick stellt sich die Situation so dar, dass der Westen teilweise hysterisch mit Gewalt droht. Wie kann man sonst die Äußerung  eines NATO-Generalsekretärs deuten? Will man hier wirklich Krieg? Denn das wäre die logische Konsequenz dieser Argumentationskette. Ich kann es nicht glauben. Und hierhin passt ein weiterer Artikel Josef Joffes.

Was will der Mann? Bedauert er wirklich, dass Rüstungsausgaben europaweit real zurück gefahren wurden? Oder sollte es hier wirklich nur um die Interessen der Rüstungsindustrie gehen? Ich glaube, das ist zu platt. Die Situation ist verfahren. Der Westen hat in unsäglicher Arroganz Russland unterschätzt.  Der Anschluss der Krim an Russland ist, gelinde gesagt, ein unfreundlicher Akt. Aber, wenn man sich ernsthaft mit der russischen (und sowjetischen) Geschichte beschäftigt, hätte man das voraussehen können. Und viel früher mit Erfolg das tun, was Josef Joffe im letztgenannten Artikel ganz richtig schreibt: Zitat:  Europa verlässt sich auf seine „weiche Macht“, die Putin zugleich straft und lockt…. Das Ganze wird gepaart mit der Einladung: „Komm zurück in die Gemeinschaft der friedenswilligen Nationen.“ (Zitat Ende)

Säbelrasselnde Rhetorik hilft uns nicht weiter. Aber so langsam scheint sich der Wind in den deutschen Leitmedien (wie definiert man das eigentlich?) zu drehen. Wohltuend hier der Beitrag von Ingo Schulze in der SÜDDEUTSCHEN. Wenn es darum geht, darüber nachzudenken, wie es zu dieser Krise gekommen ist, ohne in Beissreflexe des Kalten Krieges einerseits und in platte antiamerikanische  Ressentiments andererseits zu verfallen, bin ich doch gern ein Putinversteher.

Russland muss an den Verhandlungstisch. Aber man muss auch einen Stuhl hinstellen.