Ja, ich bin ein Putinversteher

Putinversteher scheint  zum geflügelten Wort zu werden. Höchstselbst ins Spiel gebracht vom Herausgeber der ZEIT, Josef Joffe. Wohl abwertend allen gegenüber, die es nach seiner Meinung  immer noch nicht verstanden haben. DER RUSSE IST DER FEIND, VERDAMMT NOCHMAL! War er ja schließlich schon immer, DER RUSSE, nicht wahr…

In den vergangenen Wochen konnte ich mich des Gefühls nicht erwehren, das (un)selige NEUE DEUTSCHLAND sei in Form von ZEIT und SPIEGEL wieder auferstanden.

Schade, ich habe Josef Joffe als Journalist immer geschätzt obwohl seine Standpunkte oft nicht meine eigenen waren. Aber schreiben kann der Mann. Der verlinkte Artikel ist gut gemacht – er liest sich. Andererseits zeugt es eben nicht gerade von Größe, wenn man Andersdenkende pseudointellektuell (in diesem Falle pauschal als Putinversteher) abqualifiziert. Seine Analyse der betreffenden Gruppen ist aus meiner Sicht durchaus zutreffend. Ja, es gibt sie alle, so wie sie beschrieben wurden. Aber er vermittelt sehr geschickt den Eindruck, jedes Hinterfragen der Rolle des Westens in der ukrainischen Krise wäre irgendwo zwischen Böswilligkeit und politischer Blindheit angesiedelt. Und hier überschreitet er die Grenze zu Demagogie. Ich kann mir nicht vorstellen, dass es unbewusst passiert. Vielleicht ist es auch eine trotzige Reaktion, weil er sich nicht eingestehen kann, dass der Westen (so man ihn als homogene Einheit begreift) in Bezug auf Russland versagt hat. Putins Vorgehen ist in keiner Weise akzeptabel. Aber letztendlich ist die „kalte“ Annexion der Krim der vorläufig letzte Akt einer Entwicklung, die mit dem Zerfall der ehemaligen Sowjetunion begann. Der alte Machtapparat des Kreml existierte weiter- auch wenn neue Namen auftauchten. Der Verlust der alten Sowjetunion wurde nie akzeptiert. Spätestens seit der zweiten Amtszeit Putins standen die Zeichen auf Restauration. Und damals hätte der Westen reagieren müssen. Durch eine konsequente Einbindung Russlands und das setzt wiederum voraus, dass man Russland als Verhandlungspartner respektiert, auch bei unterschiedlichen Standpunkten. Wenn man aber immer wieder klarmacht, dass man diesen Respekt eben nicht hat, braucht man sich nicht zu wundern, wenn die Gegenseite irgendwann abweisend reagiert. Was also nun? Im Augenblick stellt sich die Situation so dar, dass der Westen teilweise hysterisch mit Gewalt droht. Wie kann man sonst die Äußerung  eines NATO-Generalsekretärs deuten? Will man hier wirklich Krieg? Denn das wäre die logische Konsequenz dieser Argumentationskette. Ich kann es nicht glauben. Und hierhin passt ein weiterer Artikel Josef Joffes.

Was will der Mann? Bedauert er wirklich, dass Rüstungsausgaben europaweit real zurück gefahren wurden? Oder sollte es hier wirklich nur um die Interessen der Rüstungsindustrie gehen? Ich glaube, das ist zu platt. Die Situation ist verfahren. Der Westen hat in unsäglicher Arroganz Russland unterschätzt.  Der Anschluss der Krim an Russland ist, gelinde gesagt, ein unfreundlicher Akt. Aber, wenn man sich ernsthaft mit der russischen (und sowjetischen) Geschichte beschäftigt, hätte man das voraussehen können. Und viel früher mit Erfolg das tun, was Josef Joffe im letztgenannten Artikel ganz richtig schreibt: Zitat:  Europa verlässt sich auf seine „weiche Macht“, die Putin zugleich straft und lockt…. Das Ganze wird gepaart mit der Einladung: „Komm zurück in die Gemeinschaft der friedenswilligen Nationen.“ (Zitat Ende)

Säbelrasselnde Rhetorik hilft uns nicht weiter. Aber so langsam scheint sich der Wind in den deutschen Leitmedien (wie definiert man das eigentlich?) zu drehen. Wohltuend hier der Beitrag von Ingo Schulze in der SÜDDEUTSCHEN. Wenn es darum geht, darüber nachzudenken, wie es zu dieser Krise gekommen ist, ohne in Beissreflexe des Kalten Krieges einerseits und in platte antiamerikanische  Ressentiments andererseits zu verfallen, bin ich doch gern ein Putinversteher.

Russland muss an den Verhandlungstisch. Aber man muss auch einen Stuhl hinstellen.

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