Auf dem Motorrad von Dresden nach Murmansk – Ende

„Guten Tag!“ Ich bin kurz erstaunt, dass ich deutsch angesprochen werde. Ich bin es kaum noch gewohnt. Die norwegische Grenzfrau lächelt freundlich. Russland liegt hinter mir. Zweihundert Kilometer trennen mich jetzt von Murmansk. Zweihundert Kilometer durch subarktische Einsamkeit. Niedriges Buschwerk, Felsen und kleine Seen, mehr war nicht. Kaum Ortschaften. Kasernen und Militäranlagen, ja. Irgendwann der Schlagbaum, mitten im Nirgendwo. Kirkenes, der russisch-norwegische Grenzort. Fünfeinhalb Wochen durch Osteuropa liegen hinter mir. Fünfeinhalb Wochen und über sechstausend Kilometer auf der URAL. Die Reise auf dem Motorrad von Dresden nach Murmansk ist endgültig Geschichte. Nach kaum zwanzig Minuten stehe ich auf der anderen Seite des Schlagbaums und habe das Gefühl, wieder in meiner Welt angekommen zu sein. Was bleibt? Russland ist anders, anders als Deutschland, anders auch als Polen und das Baltikum. Es ist schwer zu beschreiben. Die kyrillische Schrift trägt ihren Teil dazu bei. Die Straßen sind teilweise ein Albtraum. Die Städte und Dörfer sind nach unseren Maßstäben heruntergekommen, die Industriebetriebe üble Dreckschleudern. Und doch fasziniert mich dieses riesige Land immer wieder auf’s Neue. Die Menschen, die auf den ersten Blick verschlossen wirken, sind oft hilfsbereit und freundlich. Ich hab es häufig erst gespürt, als ich Probleme hatte. „Brauchst Du Hilfe?“ wurde ich oft gefragt, wenn ich am Straßenrand versucht habe, die URAL wieder in Gang zu kriegen. Klar spreche ich ein wenig russisch aber ich bin doch ein Fremder. Und ich habe hier deswegen nicht einmal Ablehnung erfahren. Im Gegenteil. Ich wurde gefragt, wo ich herkomme, wo ich hin will und auch, ob es mir in Russland gefällt. Smalltalk, sicherlich und trotzdem tut es manchmal gut. Das Land befindet sich in einem Umbruch, denke ich. Seit meiner letzten Reise ist es wesentlich offener geworden. Formalitäten an der Grenze waren nicht mehr so kompliziert wie vor sechs Jahren. Das fast schon paranoide Meldewesen für Ausländer ist drastisch gelockert worden. Riesige Straßenbaustellen, auf denen gearbeitet wird. Die Reise war erstaunlich unkompliziert. Alles hat problemlos funktioniert. Und ich habe interessante, freundliche und großzügige Menschen kennengelernt. Man kann in diesem Land reisen, wenn man bereit ist, sich darauf einzulassen. Und zu dieser Akzeptanz gehört auch die Bereitschaft, die westliche Brille abzulegen. Zu akzeptieren, dass es eine andere Sichtweise auf die jüngere Geschichte gibt. Die Ukrainekrise liegt wie ein Schatten auf diesem Land. Fernsehgeräte sind allgegenwärtig, in Läden, in den kleinen Cafes, in Hotelrezeptionen. Der Krieg in der Ukraine ist präsent. Und dann trifft man auf Menschen, die überhaupt nicht dem Klischee des nationalistischen, propagandaabhängigen Durchschnittsrussen entsprechen und diese Menschen haben auf die Dinge eine völlig andere Sichtweise, als uns unsere Mainstreammedien verordnen. Man muss ihre Sichtweise nicht übernehmen aber über einige Dinge darf man ruhig einmal nachdenken. Ja, wir sind im Westen oft weiter und moderner. Unsere Infrastruktur ist besser und unser Lebensstandard insgesamt höher. Aber daraus leitet sich kein Anspruch auf Überlegenheit ab, wozu man im Westen nicht selten neigt. Wenn man die Selbstverständlichkeit schafft, die Menschen auf Augenhöhe zu sehen, kann man dort eine wunderbare Zeit haben. Ich war nur kurz hier und möchte mir nicht anmaßen, Russland zu verstehen. Manche Dinge werden mir ewig fremd bleiben. Der aus unserer Sicht sehr unkritische Umgang mit der Vergangenheit gehört dazu. Der Kommunismus war ein Fluch für dieses Land und dennoch sind Leninstatuen allgegenwärtig. Und dennoch, ich glaube, dass sich dieses Land modernisiert. Russland ist viel mehr europäisch als asiatisch.

до свида́ния Росси́я

Brotauto

2 Gedanken zu „Auf dem Motorrad von Dresden nach Murmansk – Ende

  1. Hallo,

    wir (meine Frau und ich) beabsichtigen nächstes Jahr von Dreieich/Frankfurt ebenfalls mit dem Motorrad (R 1200 RT LC Bj. 2015 nach St. Petersburg, Murmansk-Kirkenes-Nordkapp zu fahren.

    Siehst Du da ein Problem. Wir können kein Russisch.
    Über eine Antwort würde ich mich freuen.

    Hans-Jürgen Maas ( 64 Jahre)

    1. Hallo,

      das ist eine schwierige Frage. Prinzipiell würde ich es nicht empfehlen, ohne jegliche Russischkenntnisse loszufahren. Im Raum Sankt Petersburg kommt man mit Englisch/Deutsch schon irgendwie zurecht. Danach wird es schwierig. Geht schon an der Tankstelle los: man muss vorher sagen, wieviel man haben will. Lebensmittel einkaufen ist die nächste Herausforderung, genauso wie die Reaktion bei unvorhergesehenen Ereignissen wie einer Panne, Polizeikontrolle…
      Aber: die Sprache kann man lernen! Vorausgesetzt, man geht unvoreingenommen ran. Die Menschen in dieser Gegend sind in der Regel unkompliziert und hilfsbereit (Ausnahmen gibt es natürlich…)
      Mein Tip: Beschäftigt Euch mit der Sprache (Alltagsfloskeln, Zahlen, technische Details des Motorrades). Macht einen Sprachkurs möglichst bei einem Muttersprachler. Ihr habt noch ein halbes Jahr Zeit. Und plant Eure Reise sehr sorgfältig! Dann kann es was werden. Die Route von Sankt Petersburg nach Murmansk ist relativ gut in Schuss. Wenn Ihr noch Detailfragen habt, dann einfach schreiben!

      Gruß

      Michael Drechsler

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