Kategorie-Archiv: Osteuropa

Dresden-Murmansk-Dresden. Die Heimkehr.

17.08.2014

Es ist ein seltsames Gefühl. Wieder zu Hause. Nach neun Wochen. Und es ist ein gutes Gefühl. Die Rückreise verlief unspektakulär. Es schien kein nennenswertes Wasser mehr im Motor zu sein. Eine längere Instandsetzung ist dennoch nötig. Der Verschleiß war hoch. Die Reise auf dem Motorrad von Dresden nach Murmansk hat dem Material alles abverlangt. Fast neuntausend Kilometer standen zum Schluss auf dem Tacho.

Es waren aufregende und anstrengende Wochen. Manches Mal habe ich mich unterwegs gefragt, ob es denn eine gute Idee war, diese Tour zu machen. Jetzt, eine Woche nach der Rückkehr, bin ich mir sicher, dass es gut war. Und ich werde wieder dorthin fahren. Nicht mit dem Motorrad, zumindest nicht mit der URAL. Die ist mittlerweile doch zu betagt.

Der Alltag hat mich noch nicht wieder eingeholt. Mein Sabbatical endet am 31. August. Noch ein paar Tage Zeit, die Gedanken zu sortieren, noch einmal durchzuatmen.

Hier noch einmal die Karte der gesamten Tour. Wer nocheinmal wissen möchte, wie alles begann, kann hier klicken.

 

Auf dem Motorrad von Dresden nach Murmansk – Ende

„Guten Tag!“ Ich bin kurz erstaunt, dass ich deutsch angesprochen werde. Ich bin es kaum noch gewohnt. Die norwegische Grenzfrau lächelt freundlich. Russland liegt hinter mir. Zweihundert Kilometer trennen mich jetzt von Murmansk. Zweihundert Kilometer durch subarktische Einsamkeit. Niedriges Buschwerk, Felsen und kleine Seen, mehr war nicht. Kaum Ortschaften. Kasernen und Militäranlagen, ja. Irgendwann der Schlagbaum, mitten im Nirgendwo. Kirkenes, der russisch-norwegische Grenzort. Fünfeinhalb Wochen durch Osteuropa liegen hinter mir. Fünfeinhalb Wochen und über sechstausend Kilometer auf der URAL. Die Reise auf dem Motorrad von Dresden nach Murmansk ist endgültig Geschichte. Nach kaum zwanzig Minuten stehe ich auf der anderen Seite des Schlagbaums und habe das Gefühl, wieder in meiner Welt angekommen zu sein. Was bleibt? Russland ist anders, anders als Deutschland, anders auch als Polen und das Baltikum. Es ist schwer zu beschreiben. Die kyrillische Schrift trägt ihren Teil dazu bei. Die Straßen sind teilweise ein Albtraum. Die Städte und Dörfer sind nach unseren Maßstäben heruntergekommen, die Industriebetriebe üble Dreckschleudern. Und doch fasziniert mich dieses riesige Land immer wieder auf’s Neue. Die Menschen, die auf den ersten Blick verschlossen wirken, sind oft hilfsbereit und freundlich. Ich hab es häufig erst gespürt, als ich Probleme hatte. „Brauchst Du Hilfe?“ wurde ich oft gefragt, wenn ich am Straßenrand versucht habe, die URAL wieder in Gang zu kriegen. Klar spreche ich ein wenig russisch aber ich bin doch ein Fremder. Und ich habe hier deswegen nicht einmal Ablehnung erfahren. Im Gegenteil. Ich wurde gefragt, wo ich herkomme, wo ich hin will und auch, ob es mir in Russland gefällt. Smalltalk, sicherlich und trotzdem tut es manchmal gut. Das Land befindet sich in einem Umbruch, denke ich. Seit meiner letzten Reise ist es wesentlich offener geworden. Formalitäten an der Grenze waren nicht mehr so kompliziert wie vor sechs Jahren. Das fast schon paranoide Meldewesen für Ausländer ist drastisch gelockert worden. Riesige Straßenbaustellen, auf denen gearbeitet wird. Die Reise war erstaunlich unkompliziert. Alles hat problemlos funktioniert. Und ich habe interessante, freundliche und großzügige Menschen kennengelernt. Man kann in diesem Land reisen, wenn man bereit ist, sich darauf einzulassen. Und zu dieser Akzeptanz gehört auch die Bereitschaft, die westliche Brille abzulegen. Zu akzeptieren, dass es eine andere Sichtweise auf die jüngere Geschichte gibt. Die Ukrainekrise liegt wie ein Schatten auf diesem Land. Fernsehgeräte sind allgegenwärtig, in Läden, in den kleinen Cafes, in Hotelrezeptionen. Der Krieg in der Ukraine ist präsent. Und dann trifft man auf Menschen, die überhaupt nicht dem Klischee des nationalistischen, propagandaabhängigen Durchschnittsrussen entsprechen und diese Menschen haben auf die Dinge eine völlig andere Sichtweise, als uns unsere Mainstreammedien verordnen. Man muss ihre Sichtweise nicht übernehmen aber über einige Dinge darf man ruhig einmal nachdenken. Ja, wir sind im Westen oft weiter und moderner. Unsere Infrastruktur ist besser und unser Lebensstandard insgesamt höher. Aber daraus leitet sich kein Anspruch auf Überlegenheit ab, wozu man im Westen nicht selten neigt. Wenn man die Selbstverständlichkeit schafft, die Menschen auf Augenhöhe zu sehen, kann man dort eine wunderbare Zeit haben. Ich war nur kurz hier und möchte mir nicht anmaßen, Russland zu verstehen. Manche Dinge werden mir ewig fremd bleiben. Der aus unserer Sicht sehr unkritische Umgang mit der Vergangenheit gehört dazu. Der Kommunismus war ein Fluch für dieses Land und dennoch sind Leninstatuen allgegenwärtig. Und dennoch, ich glaube, dass sich dieses Land modernisiert. Russland ist viel mehr europäisch als asiatisch.

до свида́ния Росси́я

Brotauto

Auf dem Motorrad von Dresden nach Murmansk XVII

13.07.2014

Es ist kaum Verkehr auf den Straßen. Kaum zu glauben, aber hier ist wirklich Sonntag. Kein Vergleich zu Sankt Petersburg und auch zu Archangelsk. Es geht geruhsam zu. Die meisten Geschäfte haben geschlossen. Ich mache mich auf den Weg, die Stadt zu erkunden. Murmansk ist eine Industrie- und Hafenstadt. Sozialistische Hochhaussiedlungen auf den umliegenden Hügeln blicken auf den am Fjord gelegenen Hafen herab. Tourismus ist hier offensichtlich nicht vorgesehen. Aber jetzt, im Polarsommer, empfängt mich die Stadt offen und freundlich. Erinnerungen an Archangelsk kommen auf, obwohl hier scheinbar alles eine Nummer größer dimensioniert ist. Auch hier die Bauten der Sowjetzeiten, dazwischen vereinzelte alte Holzhäuser und die Glas- und Stahlbetonkathedralen der postsowjetischen Realität. Mein alter Bekannter, Herr Uljanow, blickt von einigen Stellen autoritär in die Runde.

Gruß aus einer anderen zeit

Gruß aus einer anderen Zeit

Murmansk ist eine Heldenstadt. Diese Auszeichnung bekamen Städte, in denen in Krieg besonders schwere Kämpfe stattfanden. Über den eisfreien Hafen erhielt die Sowjetunion große Teile der amerikanischen und britischen Rüstungslieferungen. Entsprechend umkämpft war dieser Ort. Es gelang den deutschen und finnischen Truppen jedoch nie, Murmansk einzunehmen und diese wichtige Nachschublinie zu unterbrechen. Der Rückblick auf den Krieg ist auch heute noch allgegenwärtig in Murmansk. Weit über der Stadt auf einem Berg steht die riesige Statue eines Sowjetsoldaten, der die gesamte Stadt überblickt. Ich mache mich auf den Weg, den Soldaten zu besuchen. Zu meinem Glück geht die Trolleybuslinie 4 bis direkt dorthin.

ÖPNV am Rande der Arktis

ÖPNV am Rande der Arktis

Das Nahverkehrssystem scheint vorbildlich, obwohl die Busse wohl schon bessere Tage gesehen haben. Aber sie fahren im Fünfminutentakt und sind mit umgerechnet vierzig Cent für eine Fahrt preislich unschlagbar. Obern auf dem Berg ist erstmal Volksfest. Der Ort scheint ein beliebtes Ziel für Sonntagsausflügler zu sein. Musik, Rummel und Schaschlykstände. Die Schaschlykstände sind hier wohl das, was in Deutschland die Bratwurstbuden sind.

Schaschlyk geht immer

Schaschlyk geht immer

Ich kann mich dem Duft nicht entziehen. Dazu ein frischgezapftes Bier. Ringsum entspannte Menschen. Familien mit Kindern, Cliquen von Jugendlichen, Rentner, alle sind da. Eine gelöste Atmosphäre. Nach dem ich den See umrundet habe, auf dem zahllose Ruderboote fahren, bin an der Statue und der ewigen Flamme.

Der Soldat über Murmansk

Der Soldat über Murmansk

Auch hier werden der feierliche Ernst und die Strenge der Stätte durch herumtobenden Kinder auf eine sehr schöne Weise relativiert. Vergangenheit und Zukunft durchdringen sich. Wie selbstverständlich tummeln sich die Kinder auf den hier zur Erinnerung aufgestellten Geschützen aus Kriegszeiten.

Vergangenheit und Zukunft

Vergangenheit und Zukunft

Der Soldat schaut in die Ferne, nach Westen. Der Ausblick auf Murmansk ist überwältigend. Stadt und Hafen liegen mir zu Füßen.

Ausblick

Ausblick

Im Hafen sehe ich die „Lenin“ liegen. Das Schiff war der weltweit erste Atomeisbrecher und liegt heute hier als Museum. Ich mache mich auf den Rückweg. Touristisch ist Murmansk kein Hotspot aber es tut gut, nach den Tagen am Onegasee und den Nächten unterwegs wieder städtische Atmosphäre zu geniessen. Die Nacht wird kurz, da auch das russische Fernsehen das Finale aus Brasilien überträgt. Es ist ein Moment, an dem ich gern zu Hause gewesen wäre, um das Match in Gesellschaft zu genießen. Und ich freue mich für die deutsche Mannschaft, dass sie diesen Glanzpunkt setzen kann.

14.07.2014

„Museum nie rabotajet?“ frage ich einen Mann in blauer Arbeitskombi. Ich stehe vor dem Atomeisbrecher und wundere mich über die Absperrung. Er murmelt etwas, was ich nicht richtig verstehe und deutet auf die Hinweistafel. Montag und Dienstag ist das Museum geschlossen. Verdammt ärgerlich. Es wäre die einmalige Chance gewesen, dieses legendäre Schiff zu besichtigen.

Der Atomeisbrecher

Der Atomeisbrecher

Ich bin kein Seefahrtsfanatiker aber das hätte ich gern gesehen. Und ich kann mir nicht vorstellen, dass es ein nächstes Mal gibt. Schweren Herzens mache ich noch ein paar Bilder und verlasse den Schauplatz. Der Tag vergeht mit Reisevorbereitungen. Lebensmittel einkaufen und die URAL noch mal „streicheln“. Die Reise auf dem Motorrad von Dresden nach Murmansk ist Geschichte. Morgen steht die endgültig letzte Etappe auf russischem Boden an. Ziel ist das norwegische Kirkenes. Danach geht es nach Hause. Was von Murmansk bleibt, ist der Eindruck einer modernen, lebendigen Stadt, die fest in der Gegenwart steht und ihre Vergangenheit lebendig hält.

Auf dem Motorrad von Dresden nach Murmansk XVI

Ein kurzer Rückblick…

12. Juli

Ich würde mir auch kein Zimmer geben. Verdreckt, zerstochen und unrasiert stehe ich an der Hotelrezeption in Murmansk. Die Frau hinter dem Tresen schaut skeptisch, zu Recht. Ich glaube, verwahrlost umschreibt meinen Zustand ganz gut. Meine letzte Dusche hatte ich vier Tage zuvor in Medveshegorsk. Zum Glück habe eine Reservierung. Medveshegorsk ist im Wesentlichen ein Eisenbahnknotenpunkt mit einer kleinen Stadt drum herum. Dem Hotel dort konnte ich nicht widerstehen, der Gedanke einen geruhsamen Fußballabend mit Chips, Bier und Halbfinale war zu stark. Hat sich aber auch gelohnt. Am nächsten Morgen nehme ich dann die letzten 700km bis Murmansk in Angriff. Die M18 führt schnurgerade nach Norden. Die Orte liegen weit auseinander. Fahren, fahren, fahren. Die Gegend ist alles andere als abwechslungsreich. Abends wird es schwierig, ein Nachtlager zu finden. Links und rechts der Straße erstreckt sich Sumpf.

Kein Zeltplatz

Kein Zeltplatz

Am Ende findet sich jedoch etwas. Die sonst sehr gute Straße ist an dieser Stelle eine gigantische Baustelle. Die Tankstellen werden gewöhnungsbedürftig.

Tanken im Nirgendwo

Tanken im Nirgendwo

Fahren, Kilometer fressen. Wald und Sumpf. Irgendwann dann der Polarkreis.

Am Polarkreis

Am Polarkreis

Ein kurzer Plausch mit russischen Motorradfahrern. Die M18 scheint eine beliebte Strecke zu sein. Fahren… Unterwegs noch der fällige Ölwechsel.

Kola-Halbinsel

Kola-Halbinsel

Fünftausend Kilometer bin ich schon unterwegs. Die Berge der Kola-Halbinsel kommen in Sicht. Die Landschaft wird zusehends karger. Und dreckiger. Die gigantische subarktische Landschaft mit ihren Flüssen und Seen inmitten niedriger Vegetation und schneebedeckten Bergen wird von völlig verwüsteten Arealen unterbrochen. Schornsteine vernebeln die Gegend. Es stinkt zum Himmel. In der Gegend um Montschegorsk, wo Nickel angebaut wird, ist es fast unerträglich. Eine übelriechende, apokalyptisch aussehende Mondlandschaft.

Mondlandschaft bei Montschegorsk

Mondlandschaft bei Montschegorsk

Wie in einem schlechten Film überfliegt noch ein Jagdbomber die Szenerie. Bodenschätze und Militärstützpunkte, damit ist die Bedeutung der Kola-Halbinsel umrissen. Der Wechsel von unberührt scheinender Waldlandschaft in diesen Albtraum ist erschütternd. Ich möchte nur noch schnell durch. Hinter Montschegorsk wird es besser.

Am letzten Tag macht die URAL auf einmal richtige Probleme. Unrunder Motorlauf, kein Zug mehr in den oberen Drehzahlbereichen. Diesmal sind alle Kontakte so, wie sie sein müssen. Hier scheint es ein ernsthaftes Problem zu geben. Ich tausche die Zündspule, da ich hoffe, dass das Problem aus dieser Richtung kommt. Es bringt nichts. Es gibt noch eine Chance. Ich wechsel das Zündmodul. Es funktioniert. Allerdings habe ich keine Ersatzteile mehr. Das Zeug muss jetzt dreitausend Kilometer halten. Es sind nur noch dreißig Kilometer bis Murmansk. Irgendwann bin ich da. Wie gesagt, leicht verwahrlost. So eine Dusche ist eine klasse Erfindung. Der Weg auf dem Motorrad von Dresden nach Murmansk ist geschafft.

Auf dem Motorrad von Dresden nach Murmansk XIV

07.07. 2014

Ein Tag der vollkommenen Ruhe. Lesen, schwimmen, fotografieren, jenseits aller Hektik. So, als wäre es eine andere Welt. Sommer in Russland. Jeder Ehrgeiz, irgendetwas zu tun, erstirbt. Die wenigen Menschen, die zu sehen sind, machen auch keinen geschäftigen Eindruck. Der Duft des meistens ungehauenen Grases erfasst mich.

Ruhe

Ruhe

Hier gibt es keine richtigen Straßen, keine Geschäfte, keine Kneipen. Die Attraktionen heißen See und Wald. Das abgenutzte Wort entschleunigt kommt mir in den Sinn. Hier wird das Leben auf wenige Punkte reduziert. Ein Ort, der Eitelkeiten nicht zur Kenntnis nimmt. Der See bestimmt die Szene.

Der See ist die Mitte

Der See ist die Mitte

Sankt Petersburg ist weit weg und selbst Archangelsk erscheint im Rückblick wie eine brodelnde Metropole. Ich mache mir allerdings nichts vor. Es ist gut, hier den Augenblick zu genießen aber auch gut zu wissen, dass es ein Atem holen für meine reale Welt ist. Hier ist nicht die Welt, in der ich zu Hause bin. Ich schlendere durch den Tag. Morgen beginnt die letzte Etappe in Russland. Noch einmal neunhundert Kilometer bis Murmansk. Die Tage werden wieder länger. Der Weg auf dem Motorrad von Dresden nach Murmansk geht langsam zu Ende.

Bilder zu Tipinitzy und Kishi unter diesem Link

Auf dem Motorrad von Dresden nach Murmansk XIII

02.07.2014

Der Himmel wird immer dunkler und die Straße zumindest nicht besser. Ich bin irgendwo zwischen Archangelsk und Plesezk. Seit vielen Kilometern eine üble, unbefestigte Piste. Sogar die Russen fahren hier langsam und das ist ein echtes Indiz. Endlich ein Platz neben der Straße, an dem man bleiben kann. Blitze zucken und die Zeit bis zum einsetzenden Donner ist extrem kurz. Ich habe gerade das Zelt aufgebaut, da bricht es los. Ich flüchte mich erstmal unter die Brücke. Der Wind drückt das Zelt flach auf den Boden. Das war Timing! Ich möchte mir gar nicht vorstellen, ich säße jetzt noch im Sattel. Nach fünfundvierzig Minuten ist der Spuk vorbei und es wird eine ruhige Nacht.

03.07.2014

Es klingt nicht gut. Und es fühlt sich noch schlechter an. Die URAL ist unwillig. Unrunder Lauf im oberen Drehzahlbereich, das Ding nimmt kein Gas an. Ich bin bedient. Erstmal Fehlersuche. Mein erster Gedanke gilt den Vergasern, da im Standbetrieb alles in Ordnung zu sein scheint. Also aufschrauben, Düsen reinigen, zusammensetzen. Leider bringt das nicht das gewünschte Resultat. Weiter, Zündung. Funkenprobe ist eigentlich gut, ich sollte mal über den Zündzeitpunkt nachdenken. Inzwischen haben sich zwei Zuschauer eingefunden. Ein russisches Pärchen, bei dem anregende Getränke Grundnahrungsmittel zu sein scheinen und Körperpflege offensichtlich nur ein sehr sporadisches Hobby ist. Normalerweise bin ich Gesprächen nicht abgeneigt, aber die Einladung dieser beiden zu sich Hause, anzunehmen, erscheint mir keine gute Idee. Ich erkläre es ihnen sehr deutlich. Sie lassen nicht locker. Ich komme hier zu gar nichts mehr. Genervt packe ich mein Zeug zusammen. Das verstehen die zwei völlig falsch. In Nullkommanichts hocken sie auf der URAL. Ich bin kurz davor, die Contenance zu verlieren und werde etwas lauter. Endlich begriffen! Nichts wie weg, obwohl ich den Fehler immer noch nicht gefunden habe. Ich rette mich mit der ruckelnden Maschine erstmal in den Ort, nach Plesezk.

Plessezk

Plessezk

Ich brauche einen Kreuzschraubenzieher, den ich nicht mit habe. Die einzigen beiden Kreuzschrauben am Vehikel sind die am Zündmodul unter der Abdeckkappe. Habe ich in Dresden nicht eine Sekunde drüber nachgedacht. Gottseidank gibt’s in Russland alles, womit sich Geld verdienen lässt, also auch Instrumenty, Werkzeug. Der passende Laden ist schnell gefunden und ich suche mir wieder ein Fleckchen, an dem ich ungestört basteln kann.

Straßenwerkstatt

Straßenwerkstatt

Und dann habe ich es. Ein simpler Wackelkontakt an der Zündspule. So halb dran und doch kein richtiger Kontakt. Es geht wieder weiter. Ich fahre noch 200 km entlang des Flusses Onega bis Kargopol. Die Stelle zum Zelten kenne ich ja bereits. Zum Glück schneit es diesmal nicht. Die Mücken freuen sich auch über das Wiedersehen.

04.07.2014

„Da, koneshno!“ Die alte Dame am Glockenturm nickt auf meine Frage, ob man das Bauwerk besichtigen dürfe. Gegen einen kleinen Obolus von sechzig Rubeln ist das kein Problem. Ich möchte wissen, ob Kargopol außer Schnee und Regen noch etwas zu bieten hat. Klar, ein alter Bekannter und die Kirchen, die mir beim letzten Mal aufgefallen sind.

Mobilfunkvertreter

Mobilfunkvertreter

Die enge Wendeltreppe im Turm bringt mich nach oben. Der Aufgang ist eindeutig nicht für Menschen in Motorradbekleidung gebaut worden. Der Ausblick entschädigt für die Mühen. Kargopol liegt wie auf einer Landkarte unter mir. Die Sicht auf die umliegenden Seen und Wälder ist umwerfend.

Kargopoler Aussichten

Kargopoler Aussichten

Kargopol ist eine der ältesten Städte Nordrusslands. Gegründet wurde der Ort wahrscheinlich um 1150. Lange Zeit eine bedeutende Handelsstadt, verlor Kargopol mit dem Bau der Eisenbahnstrecke Moskau-Archangelsk, die weit am Ort vorbeiführt, letztendlich seine Bedeutung. Übriggeblieben sind elf Kirchen in der traditionellen russischen Bauweise. Obwohl äußerlich renovierungsbedürftig, ist das Innere dieser Bauwerke beeindruckend. Eine riesige Wand voller Ikonen. Die Kunstwerke sind teilweise siebenhundert Jahre alt, wie mir die freundliche Dame am Eingang erklärt. Es ist eine eigenartig mystische Stimmung. Der Innenraum der Kirche ist in Dämmerlicht gehüllt und ich frage mich unwillkürlich, was die diese uralten Kunstwerke im Laufe der Zeit gesehen haben. Ikonen sind typisch für die russisch-orthodoxe Kirche und erscheinen mir wie aus einer anderen Welt.

Ikonen einer fernen Vergangenheit

Ikonen einer fernen Vergangenheit

In ihrer Abstraktheit wirken sie fesselnd und abweisend zugleich. Ich kann mich dem schwer entziehen und lasse es einfach auf mich wirken. Die Religion ist in Russland immer noch tief verwurzelt. Ähnlich wie in Polen sehe ich Menschen jeden Alters die Rituale vollziehen, angefangen vom selbstverständlichen Bekreuzigen beim Betreten und Verlassen der Gebäude. Und es sind auch Menschen, die ihre Ausbildung und Erziehung in sowjetischen Zeiten erhalten haben. Wie kann es sein, dass diese Religiosität nach sieben Jahrzehnten konsequenter Unterdrückung und Negierung wieder derartig auflebt? Oder haben wir im Westen auch hier ein falsches Bild? Ich denke, der Glauben wurde auch zu kommunistischen Zeiten nie völlig aufgegeben, auch wenn ihn viele Menschen aus nachvollziehbaren Gründen verleugneten. Wahrscheinlich haben auch Parteimitglieder insgeheim gebetet. Anders kann ich es mir nicht vorstellen. Und wieder habe ich das Gefühl, dass die kommunistische Zeit für dieses Land ein böser Spuk war, von dem es sich langsam erholt. Diese Erholung dürfte noch Jahrzehnte dauern. Ich verlasse die Kirche und mache mich wieder auf den Weg, den Weg auf dem Motorrad von Dresden nach Murmansk.

Die Erzengel

Die Erzengel

Was mir jetzt bevorsteht, kenne ich von der Hinreise nach Archangelsk. Viele Kilometer unbefestigte Straßen, die ein Martyrium für URAL darstellen. Da müssen wir jetzt durch. Zum Glück hat es etwas geregnet. Das ist jetzt wirklich ein Glück, denn die leicht „angefeuchteten“ Pisten lassen sich besser fahren. Kein Staub mehr und die Bodenwellen sind etwas weicher.

Die Piste hinterlässt Spuren

Die Piste hinterlässt Spuren

Das Motorrad wechselt seine Farbe. Ich glaube, es war ursprünglich mal schwarz. Jetzt hat es so ein undefinierbares Grau. Irgendwann erreiche ich kurz vor Pudosh die Grenze der Republik Karelien, ein autonomes Gebiet innerhalb der Russischen Förderation. In Pudosh noch einmal tanken und dann geht es weiter in Richtung Medveshegorsk. Es ist schon spät und ich übernachte noch einmal bei meinen Lieblingstieren. Deutschland hat das Halbfinale erreicht, erfahre ich noch. Auch schön.

05.07.2013

Wie komme ich hier nur raus? Medveshegorsk gibt mir Rätsel auf. Die Ausschilderung ist sehr reduziert und ich muss die Straße nach Tipinitzy finden. Da will ich hin. Aber wo geht es aus Medveshegorsk raus? Ich sehe nur Schilder für Murmansk und Petrosavodsk. Nach drei Ehrenrunden in der Stadt tue ich das Naheliegende: ich frage. Und schon geht es weiter. Es ist doch manchmal so einfach. Tipinitzy liegt am Ende einer Halbinsel im Onegasee. Ich mache ich auf Unwegsamkeiten gefasst. Nichts dergleichen passiert erst einmal. Gute Straße, teilweise direkt am Ufer des Onegas entlang. Sehr schön. Im letzten Drittel wird es dann allerdings wie erwartet. Der Asphalt ist alle, wiede mal. Es geht auf den sattsam bekannten wilden Pisten weiter. Die karelische Landschaft, Dörfer ziehen vorbei, die manchmal etwas verloren aussehen.

Karelische Aussichten

Karelische Aussichten

Ich frage mich langsam, ob ich das im Internet gebuchte Gästehaus in Tipinitzy wohl vorfinden werde. Egal, das Problem, wenn es denn eines ist, wird sich vor Ort lösen lassen. Zwischendurch regnet es. Dann passiert wieder eine dieser Sachen, die man nicht für möglich hält. Fünfundzwanzig Kilometer vor dem geschätzten Ende der Welt überholt mich ein Volvo mit einem mit Baumaterial beladenen Anhänger. Der Fahrer hat offensichtlich Probleme mit seiner Ladung. Ich überhole noch zwei oder dreimal, wenn er das Zeug wieder neu befestigt. Bei einer dieser Begegnungen hebt er die Hand. Ich halte und wir kommen ins Gespräch. Ob ich nach Tipinitzy wollte? „Da!“ Ins Gästehaus? „Da!“ Es ist der Besitzer ebendieses Gästehauses. Er hätte sich schon gedacht, dass ich sein angekündigter Gast sei, denn soviele Motorräder mit deutschem Kennzeichen gibt es in dieser Gegend nicht. Nun ist mir erstmal die Sorge genommen, dieses Haus zu finden. Wir kämpfen uns gemeinsam weiter. Am Ziel angekommen, entpuppt sich Tipinitzy als typisch russisches Dorf, teils bewohnt, teils verfallen. Das Gästehaus allerdings ist eine Perle. Gemütlich, den Umständen entsprechend komfortabel.

Komfort pur

Komfort pur

Konstantin ist ein Fotograf aus Sankt Petersburg, der aber momentan nicht arbeitet, sondern hier draußen lebt und das Haus vermietet. Kurze Einweisung in alle Örtlichkeiten und dann wird die Banja angeheizt. Konstantin fragt mich noch, ob ich gesund genug für die russische Variante bin. Da mir keine Fehlfunktionen bekannt sind, kann es losgehen. Die russische Sauna, so wird mir erklärt, sei nicht so heiß wie die finnische aber dafür feuchter. Die übliche Massage mit Birkenzweigen gibt es natürlich auch. Zwischendurch Bier und gesalzenen Trockenfisch. Es ist nach den Tagen draußen eine Wohltat. Wir unterhalten uns noch so über dies und jenes. Er erklärt mir, der Anblick des Motorrades mit Beiwagen und deutschem Kennzeichen hätte bei ihm sofort Bilder aus Kriegsfilmen wachgerufen. Dieser Eindruck lag nicht in meiner Absicht aber so scheint es nun mal zu sein. Irgendwann falle ich ins Bett.

06.07.2014

Kischi. Das Museum auf einer Insel im Onegasee. Zu Konstantins touristischem Angebot gehören auch Bootsausflüge dorthin. Das Wetter ist ideal. Sonnenschein und kaum Wind. Wir fahren über einen spiegelglatten Onega. Wir reden weiter. Konstantin, der aus der Nähe von Odessa stammt, scheint sich für dieses einfache Leben hier draußen entschieden zu haben. Seine Familie lebt allerdings in Sankt Petersburg. Nur zeitweise sind seine Frau und seine zwei Kinder hier. Wovon denn die Leute hier leben, will ich noch wissen. Viele sind Pensionäre, erklärt er mir. Dazu kommen ein wenig Tourismus, der Anbau und Verkauf von Kartoffeln und dem, was der Wald so bietet. Beeren, Pilze und natürlich die Jagd. Es wäre allerdings eine sehr ernsthafte Entscheidung so hier leben zu wollen. Nach fünfundvierzig Minuten werden die Kirchen von Kischi am Ufer sichtbar. Was nun folgt, ist eine gigantische Show russischer Holzarchitektur. Es ist ähnlich wie in Malye Koreli, nur um ein vielfaches größer.

Kischi

Kischi

Die Insel ist ungefähr vier Kilometer lang und sehr angenehm gestaltet. Weit auseinandergezogen stehen dort Kirchen und Bauernhäuser aus verschiedenen Epochen und Gegenden. Es ist ein langer Spaziergang in einer wirklich schönen Umgebung. Kischi liegt in einer Bucht des Onega mit vielen Inseln. Man wandert durch die russische Geschichte. Die meisten der Gebäude wurden aus den umliegenden Gemeinden zusammengetragen und in Kischi seit den sechziger Jahren wieder restauriert. Anschaulich werden die Bauweise und auch die verwendeten Zimmermannstechniken erklärt. Aber auch hier liegt der Schatten Stalins. Die eigentliche Kirche Kischis war bis 1937 in Betrieb. Dann die übliche Geschichte. Der damalige Vorsteher wurde vom NKWD, den stalinistischen Sicherheitsorganen, verhaftet, erschossen und die Kirche, die Jahrhunderte existierte, geschlossen, Ende und Sowjetmacht. In Tipinitzy gibt es ein Denkmal für die hiesigen Opfer des Terrors der Jahre 1937 und 1938. Wir wandern mehrere Stunden über die Insel. Nach der Rückfahrt noch ein Bad im Onega, danach Erholung pur. Nochmal Kraft tanken für die letzte Etappe auf der Fahrt von Dresden nach Murmansk. Abendsonne und ein stilles russisches Dorf irgendwo ganz weit weg.

Das Dorf

Das Dorf

Auf dem Motorrad von Dresden nach Murmansk XII

28. Juni

„Das ist Provinz!“ Ich habe noch Tatjanas Worte in Sankt Petersburg im Ohr. Nach Tagen auf der Landstraße freue ich mich auf Leben. Die Abgeschiedenheit dieses Landes hat mich mehr vereinnahmt, als ich vorher annahm. Das Zeitgefühl kommt aus dem Rhythmus. Der Tag zerteilt sich in Tankpausen, sonst nichts. Die Metropole erscheint als Oase. Archangelsk hat auch diese Ausstrahlung der östlichen Städte, die irgendwo zwischen der Vergangenheit und einer undefinierten Zukunft liegt. So, als müsste man zwischen Ost und West eine neue Himmelsrichtung erfinden. Aber anders als Sankt Petersburg, welches in einer Art Dauerlauf zu leben scheint, ist hier alles gelassener. Und dennoch alles andere als tot. Gelassener, wie mir scheint. Die Menschen, denen ich begegne, sind auf eine sympathische Art unaufgeregt. Die Bewegungen, die Gespräche, alles scheint eine Spur geruhsamer zu gehen als in Sankt Petersburg. Und es gibt sie noch, die Kwasverkäufer.

Auf der Strasse

Auf der Strasse

Ich mache mich auf den Weg, diesen Ort zu erkunden. Archangelsk hat seine Geschichte. Lange Zeit war der Ort der nördlichste Hafen von Bedeutung, den Russland hatte. Im Jahre 1584 gegründet, war es die Handelsmetropole jener Zeit in der der Region. Über Archangelsk liefen die ersten Kontakte des russischen Reiches unter Iwan, dem Schrecklichen nach England.

Das alte Archangelsk

Das alte Archangelsk

Englische Seefahrer strandeten 1553 in Archangelsk auf der Suche nach einer von Portugal unabhängigen Seepassage nach Indien. Die Seefahrt prägt das Stadtbild bis heute. Darstellungen von Schiffen sind allgegenwärtig. Auch die Denkmäler der Zeit der Interventionskriege 1918-1920, als Truppen der Entente in Archangelsk landeten, und die allgegenwärtigen Monumente des Zweiten Weltkriegs sind oft Seefahrern gewidmet.

Wir lieben Archangelsk

Wir lieben Archangelsk

Die Architektur der Stadt ist ein Querschnitt aus Stein und Holz durch die Jahrhunderte. Die alten russischen Holzhäuser stehen zwischen monströsen Betonblöcken der Sowjetzeit und der Einheitsarchitektur aus Stahl und Glas der Neuzeit.

Denk mal!

Denk mal!

Ein gewisser Herr Uljanow, bekannter unter seinem Künstlernamen Lenin, beherrscht den zentralen Platz der Stadt.

Der alte Mann

Der alte Mann

Und der vergangene Krieg ist auch hier sehr präsent. Doch Archangelsk lebt. Menschen sind unterwegs, erstaunlich viele junge Familien mit Kindern, im Habitus von ihren westeuropäischen Altersgenossen kaum zu unterscheiden. Skater teilen sich die Uferpromenade mit Radfahrern und Joggern, aus den Restaurants dröhnt der übliche russische Pop. Und über allem liegt eine eigenartige Gelassenheit. Selbst der Verkehr, der hier durch eine schier unendliche Zahl klappriger Busse eines Einheitstyps dominiert wird, scheint erträglich.

Rush Hour

Rush Hour

Die Stadt wirkt einladend. Eine Überraschung erlebe ich beim Einkauf. Die Alkoholabteilung ist abgesperrt. Ein Schild sagt mir, dass an diesem Wochenende jede Sorte von Alkohol nur zwischen zehn und dreizehn Uhr verkauft wird. Der Grund ist der Stadtgeburtstag, der an diesem Wochenende stattfinden soll. Noch ist davon nichts zu sehen. Ich genieße die Mitternachtssonne an der Uferpromenade.

Mitternacht an der Dvina

Mitternacht an der Dvina

29. Juni

Etwas liegt in der Luft. Eigentlich will ich heute ein Stück ins Umland fahren. Aber die Straße vor dem Hotel ist gesperrt. Menschen strömen Richtung Innenstadt. Musik ist zu hören. Keine Zeit für’s Umland, das kann warten. Heute ist die Party zum Stadtgeburtstag. Vierhundertdreißig Jahre Archangelsk und scheinbar ist der ganze Ort auf den Beinen. Gegenüber des Herrn Uljanow ist eine riesige Tribüne aufgebaut. Ich lasse mich mittreiben. Und komme genau zum richtigen Zeitpunkt. Auf der Tribüne werden die Feierlichkeiten offiziell eröffnet. Die Führung der Stadt hält Reden. Der Bürgermeister, die örtliche Duma-Abgeordnete, der Oberhirte, Gäste aus Partnerstädten.

Mit dem Segen von ganz oben

Mit dem Segen von ganz oben

Emden ist die Partnerstadt von Archangelsk, wer hätte das gedacht. Zum Glück fassen sich alle kurz und dann kann es losgehen. Tanzdarbietungen, wie man sie in ihren Dimensionen wahrscheinlich nur im Osten kennt. Die Stadt Archangelsk und ihre Geschichte sind das Thema. Historische Figuren wie Iwan, der Schreckliche und Katharina, die Große betreten die Bühne. Die Geschichte der Stadt rollt musikalisch über die Bühne. Der Platz ist voll. Auf der Uferpromenade ein anderes Bild. Hier laufen die alternativen Darbietungen. Straßenmusiker spielen zwischen Schaschlykständen. Und hier ist wieder Osten. Die Menschen jeden Alters bleiben bei den Gitarrenspielern stehen und singen mit.

Die alernative Party an der Dvina

Die alternative Party an der Dvina

Strassenmusik in Archangelsk, russische Lagerfeuerromatik, Lieder von Aufbruch und Unterwegssein. Offensichtlich sehr populär hier. Der perfekte Tag, auch das Wetter spielt mit. Auffällig ist allerdings, dass oft aus Papiertüten getrunken wird… Offensichtliche Opfer dieser Tüten sehe ich allerdings erstaunlich wenige. Zurück zum Herrn Uljanow. Auf der Bühne läuft das russische Folkloreprogramm. Der traditionelle Gesang der Frauenchöre und halsbrecherische Tanzdarbietungen der Herren. Und auch hier wird im Publikum mitgesungen und getanzt. Der Platz ist voll. Familien lagern mit Picknickkörben im Gras. Hin und wieder blitzt der Nationalstolz auf.

Flagge zeigen

Flagge zeigen

Dann das Konzert, der Abschluss. Die russische Band DDT spielt und wieder zeigt die Reaktion der Umstehenden, dass die Jungs ziemlich populär sind. Gute Texte, soweit ich sie verstehe. (siehe den Link)

Der Tag geht zu Ende.

30. Juni

Es kracht. Nichts weiter passiert, der Busfahrer hat den Gang eingelegt. Scheint auch keine Ungeschicklichkeit gewesen zu sein. Das Geräusch ist einfach an jeder Bushaltestelle zu hören. Ich will raus- und zwar in’s Umland. Malye Koreli ist das Ziel. Ein Freilichtmuseum, das einen Querschnitt durch vier Jahrhunderte russischer Holzarchitektur verspricht. Also los. Die Dinger sehen außen so abenteuerlich aus wie drinnen.

Öffentlicher Nahverkehr

Öffentlicher Nahverkehr

Die Fahrt im Vehikel kostet in der Stadt in der Stadt achtzehn Rubel, egal wie weit man fährt. Das sind ungefähr vierzig Cent. Die Fahrt zum Museum kostet mich einen Euro. Es ist ein Fest für die Wirbelsäule. Die Straßen passen hervorragend zur digitalen Federung des Fahrzeuges. Die Russen nehmen es gar nicht wahr. Irgendwann sind wir da.

Bus Stop im Nirgendwo

Bus Stop im Nirgendwo

Ich bezahle meine einhundert Rubel Eintritt und bin drin. Ein erstaunliches Museum, welches schon 1964 gegründet wurde. Aus umliegenden Dörfern wurden alte Häuser und Kirchen zusammengetragen und in einem herrlichen Waldareal rekonstruiert. Nach einer Weile fühlt man sich in die Vergangenheit versetzt. Unwillkürlich fallen mir die russischen Märchenfilme ein und es würde mich nicht wundern, käme die Baba-Jaga auf dem Besen um die Ecke.

Hier wohnen Mascha und der Bär

Hier wohnen Mascha und der Bär

Dazu tragen sicher auch die Frauen bei, die die zugänglichen Gebäude in traditionellen Trachten erklären. Allerdings kam ich da schnell an die Grenzen meiner Russischkenntnisse. Und trotzdem, es war einfach schön. Ein Tag zum dahinmeditieren. Tut gut…

Abtauchen

Abtauchen

 

Zurück mit dem allerliebsten Autobus. Die Schaffnerin, ja, die fahren in jedem Fahrzeug mit, ist allerdings sowjetisch. Nur das notwendigste reden und möglichst im Befehlston. Aber derartige Umgangstöne sterben auch hier langsam aus. Die Leute, auch in den Geschäften, sind im Allgemeinen sehr freundlich und hilfsbereit. Die Sowjetzeit wächst sich langsam raus. Ich schlendere noch so durch die Stadt besorge mir noch was zu essen und sehe zu, wie die Fußballer für hohe EKG-Werte sorgen. Morgen werde ich mich den weiteren Verlauf der Reise kümmern. Es geht weiter auf dem Motorrad von Dresden nach Murmansk. Nach Archangelsk zu fahren, war eine gute Entscheidung. Poka!

 

Auf dem Motorrad von Dresden nach Murmansk XI

22. Juni

Wassili meint es gut, es gibt Kascha. Das war wohl unvermeidlich. Wir kommen ins Gespräch. Er spricht deutsch, ich versuche russisch zu antworten. Es geht irgendwie. Wir reden über die Arbeit, die Familie. Einer seiner Cousins war nach dem Krieg kurzzeitig Stadtkommandant von Bad Schandau. Wassili ist klein, dünn mit Vollbart, irgendwie so, wie man sich einen alten Professor vorstellt. Er kennt Deutschland und auch Dresden. Er ist Designer, auch für Möbel und Inneneinrichtungen. Die Hellerauer Werkstätten sind ihm ein Begriff. Und natürlich kommen wir auf die Ukraine zu sprechen. Das Dilemma ist tief. Wassili ist ganz offensichtlich keiner dieser lautstarken Patrioten, für die ein fast siebzig Jahre zurückliegender Sieg der Mittelpunkt ihrer kleinen Welt ist. Die Krim ist in seinen Augen russisch und der Anschluss folgerichtig. Er scheint weit entfernt von irgendeinem nationalistischen Taumel, den Medien und Politik in Russland sehen und den es zweifellos gibt. Wenn Menschen wie er dies so sehen, dann ist der Weg aus dieser Krise wohl noch schwerer als gedacht. Ich denke an das Gespräch mit Andreijs in Lettland. Der Graben zwischen Russland und dem Rest der Welt, selbst zu den ehemaligen Sowjetrepubliken, ist tief. Hier hat sich in den stalinistischen Jahren ein paralleles Universum entwickelt. Die Jahrzehntelange Abschottung mit paranoiden Zügen hat ihre Spuren hinterlassen. Russland hat noch einen weiten Weg vor sich. Ich hätte dieses Gespräch gern noch fortgesetzt aber die Zeit drängt. Ich will los. Denis ruft noch mal an. Kirill und er wollen mich auf ihren Motorrädern durch die Stadt begleiten. Zwei russische und eine „deutsche“ URAL, ein interessantes Bild.

Eskorte- Kirill und Denis

Eskorte- Kirill und Denis

Ich brauche mir keine Gedanken über die Navigation zu machen und kann die Fahrt an der Newa entlang noch einmal so richtig genießen, zumal Sonntag ist und der Verkehr erträglich. Am Stadtrand, an der Murmansker Chaussee verabschieden wir uns. Vor mir liegen fünf Tage Fahrt durch ein unbekanntes Land. Am nächsten Freitag möchte ich in Archangelsk sein. Mir ist etwas beklommen zumute. Ja, ich verstehe und spreche ein wenig Russisch und ich bin nicht zum ersten Mal in diesem Land. Und dennoch bin ich innerlich angespannt. Es ist nicht Deutschland, wo man vielleicht mal zwei Stunden auf den ADAC warten muss und wo die Polizei meist kooperativ ist. Passiert hier etwas Unvorhergesehenes muss man sich etwas einfallen lassen. Und das Wort Entfernung wird hier auf „fern“ betont. Die beiden Russen hauen mir noch mal auf die Schulter und weiter geht’s auf dem Motorrad von Dresden nach Murmansk, wenn auch mit einem kleinen Umweg. Ich komme erstmal gut voran, die Straßen sind sehr brauchbar und das Tankstellennetz ist ausreichend. Dann biege ich von der M18, die nach Murmansk führt ab. Ich möchte ja erstmal nach Archangelsk. Das Bild ändert sich. Der Verkehr hört fast auf und die Straßen verschlechtern sich von Kilometer zu Kilometer.

Russian Outback

Russian Outback

Es ist dieses Gebiet zwischen Ladogasee und Onegasee. Hin und wieder ein kleines Dorf, ansonsten Wald. Auch der Mobilfunkempfang ist dürftig. Hier ist also das russische Outback. Man kann sich wirklich verlieren. Und trotz seiner Abgeschiedenheit war das Gebiet im Krieg umkämpft. Denkmäler zeigen den damaligen Frontverlauf und erinnern an die Blockade Leningrads, die schätzungsweise eine Million zivile Opfer gefordert hat. Irgendwann spät abends schlage ich mein Zelt unweit der Straße auf und arrangiere mich mit den Mücken.

Allein unter Mücken

Allein unter Mücken

23. Juni

Auf einmal ist die Straße weg. Soeben habe ich noch das Schild in Richtung Vytegra gesehen und plötzlich liegt vor mir nur noch ein Feldweg. Glücklicherweise stehen ein Mann und eine Frau am Straßenrand. Auf meine Frage, ob das denn der Weg nach Vytegra sei, nicken sie. Der Mann erklärt mir noch, dass es nur neunzig Kilometer wären. Jetzt bin ich wahrscheinlich endgültig in Russland.

Lost Runway in Russia

Lost Runway in Russia

Es geht los. Tiefe Löcher wechseln sich mit kurzen, harten Bodenwellen ab. Ich fahre Slalom und meine Geschwindigkeit ist zeitweise nicht schneller als 20 km/h. Der dritte und der vierte Gang haben heute frei. Hin und und wieder überholen mich einheimische Fahrzeuge aller Größen. Es scheint doch eine offizielle Straße zu sein. Nach solchen Begegnungen sehe durch den Staub minutenlang nichts. Zum Glück ist das Wetter noch gut. Ich stelle mir vor, es würde auch noch regnen. Unwillkürlich denke ich an die Schilderungen diverser Armeen der Vergangenheit, die an den russischen Straßenverhältnissen gescheitert sind. Ich quäle mich vorwärts durch den Wald. Immer mal schaue ich nach, ob noch alle Teile dran sind.

Lost Runway in Russia II

Lost Runway in Russia II

Überraschend sind für mich die Dörfer. Als Stätten des Verfalls hatte ich sie in Erinnerung, trostlos und heruntergekommen. Das scheint hier nicht so zu sein. Klar, die Holzhäuser sind immer noch windschief auch die freilaufenden Hunde gibt’s immer noch. Aber es scheint mehr Leben in den Häusern zu sein, mehr Farbe an den Wänden und gepflegte Vorgärten. Und es gibt Menschen auf den Straßen, intakte Läden. Irgendwann in Pudosh entscheide ich mich für einen der kleinen Läden am Straßenrand, Café genannt. Schnell, schmackhaft und nicht teuer, so lautet die Reklame. Von außen oft abweisend und unwirtlich sind sie drinnen sehr annehmbar, wenn auch schlicht, in ihrer Einrichtung. Für sehr wenig Geld kann man hier russisch essen: Soljanka, Borschtsch, Fisch, Schaschlyk, Blini, die Auswahl ist gut.

Verpflegungsstützpunkt

Verpflegungsstützpunkt

Die Bedienung ist schnell und für russische Verhältnisse überaus freundlich. Ich entscheide mich für Fisch. Es geht weiter auf der Buckelpiste bis zum Nachtlager bei Kargopol. Die Waldeinfahrten bei Kargopol sind videoüberwacht. Der Grund ist die unsägliche russische Angewohnheit, Müll in die Natur zu kippen. Es ist wirklich eine Seuche. Nun stehen hier Videokameras und Tafeln, die Geldstrafen androhen. Die aufgeführten Zahlen sind beeindruckend. Ich baue mein Zelt auf und räume erstmal ein altes Lada-Teil beiseite. In der Nacht beginnt es zu regnen.

24. Juni

Das Geräusch ist anders. Ich bin gestern eingeschlafen, als der Regen auf das Zelt hämmerte. Es klingt nicht mehr so. Ich traue meinen Augen nicht. Es schneit.

Ski und Rodel gut

Ski und Rodel gut

Über Nacht sind die Temperaturen gefallen und wird mir wieder klar, dass ich in Karelien bin. Ich beschließe im Bett zu bleiben. Lebensmittel und Lesestoff sind zur Genüge da und hier im Wald belästigt mich niemand. Schlafen, Essen und Lesen. Nur schade, dass es keinen Kamin gibt.

25. Juni

Ob ich denn wirklich aus Deutschland mit dem Motorrad gekommen wäre? Der ältere Herr in Kargopol kann es kaum glauben. Eine typische Begegnung. Die URAL mit deutschem Kennzeichen erregt Aufmerksamkeit. Die nächste Frage lautet fast immer: „Warum nicht BMW?“ Meine Standardantwort: „Zu teuer!“ Damit geben sich die meisten zufrieden. Kargopol, inmitten von Wald. Eine russische Provinzstadt mit Holzhäusern zwischen sozialistischen Betonbauten, schlechten Straßen, Kirchen und einer großen Zahl unterschiedlichster Geschäfte. Der Handel scheint zu blühen, es sind zahlreiche Menschen auf der Straße. Die Kirchen sind beeindruckend.

Russland- Deine Kirchen

Russland- Deine Kirchen

Ein russischer Bekannter zu Hause hatte mir diese Gegend, Karelien, empfohlen. Weder die Deutschen im Krieg noch die Kommunisten hätten hier viel zerstört. Russland wäre hier noch ursprünglich. Es ist für mich immer wieder erstaunlich, wie diese sakralen Bauten die sozialistische Zeit überstanden haben. Ein wenig verfallen, aber sie sind da. Einträchtig neben den Denkmälern aus Sowjetzeiten. Städte wie Kargopol wirken wenig einladend. Man hier trotz der bunten Reklametafeln und des regen Handels das Gefühl, die Zeit sei stehen geblieben. Es erscheint alles so weit weg von unserer Welt. Das Wetter ist immer noch schlecht.

Kargopol Downtown

Kargopol Downtown

Weiter auf schlechten Straßen. Abends habe ich die M8 erreicht, die Moskau mit Archangelsk verbindet. Eine weitere Nacht im Wald.

26. Juni

Ereignisarm-eine Fahrt durch unendliche Wälder. Wieder Nachtlager draußen. Es regnet immer noch.

27.Juni

Es ist, als wäre ich nach einer langen Fahrt über’s Meer auf einem anderen Kontinent gelandet. Archangelsk kündigt sich an. Am Straßenrand eine riesige Statue des Erzengels Michael, der der Stadt seinen Namen gab.

Michail

Michail

Es ist wie in einem Märchen. Schon zehn Kilometer vor Archangelsk sehe ich die goldenen Kuppeln der Kathedrale in der Sonne, die sich nun auch endlich blicken lässt. Es kommt mir vor, als wäre ich ewig unterwegs gewesen. Die Stadt empfängt mich offen und freundlich. Ein Gefühl des Ankommens erfüllt mich. Die Vorfreude auf den Luxus einer Dusche und eines Bettes nimmt mich gefangen. Es war eine lange Reise von Sankt Petersburg hierher und ich konnte mich manchmal des Gefühls der Verlorenheit in diesem riesigen Land nicht erwehren. Die Landstraße gibt mich wieder frei. Ich bin da!

Auf dem Motorrad von Dresden nach Murmansk X

20. Juni

„Good Luck“, und es ist offensichtlich nicht hämisch gemeint. Okay, die Jungs sind nicht gerade die Archetypen der Idealschwiegersöhne, aber sie geben erstmal Auskunft. Ich habe mich in einen Vorort von Sankt Petersburg aufgemacht, um die Reparaturmöglichkeiten für’s Motorrad auszuloten. Nur für den Fall, dass… MOTODEPO heißt der Laden, den ich im Internet ausfindig gemacht habe. Eine Hinterhofwerkstatt, bevölkert von ziemlich schrägen Typen. Nein, URAL geht gar nicht. Der Grund? Es gibt schlicht keine Teile. Hat sich also nichts geändert im Vergleich zu 2008. Sie gucken ein wenig reserviert und ratlos, als ich meine Reisepläne erzähle. „Good Luck!“ Hmm… Also erstmal Fehlanzeige. Abends kriege ich plötzlich noch eine Mail. Denis aus Sankt Petersburg meldet sich. Es gibt sie also doch noch, die russischen URAL-Fahrer. Ich hatte die URAL-Vertriebsorganisation für Europa, die sitzt in Österreich, angeschrieben, ob es irgendwelche Kontakte hier in Sankt Petersburg gibt. Freundlicherweise gab’s den Draht zum besagten URAL-Kollegen. Kurzes Telefonat, eine Stunde später sitzen wir uns in der Bar gegenüber. Gesprächsstoff? Kein Problem, gibt’s sofort. Gut, jemanden zu kennen, den man im Falle eines Falles anrufen kann. Denis, ein dreißigjähriger Elektroingenieur, verspricht mir zu helfen, wo es geht, wenn der unerwünschte Fall eintreten sollte. Er ist der Meinung, URAL-Fahrer seien eben ein wenig anders. Könnte er Recht haben… Wir quatschen- russisch und englisch durcheinander, wahrscheinlich ziemlich laut. Plötzlich steht eine Frau vom Nebentisch auf und kommt rüber. Sie hätte unser Gespräch nicht überhören können, sagt sie. Jetzt gibt’s den Anpfiff, denke ich. Weit gefehlt! Sie hatte aufgeschnappt, dass ich mit dem Motorrad aus Deutschland gekommen bin. Unglaublich, ob ich das noch mal bestätigen könnte. Klar kann ich. Sie ist der Meinung, dass wäre umwerfend und geht wieder an ihren Tisch. Sachen gibt’s…Später kommt noch Denis‘ Kumpel Kirill dazu und gegen Mitternacht sind die beiden der Meinung, dass man noch einen Stadtrundgang machen müsse.

Newski at Night

Newski at Night

Damit hier keine falschen Vorstellungen aufkommen, es war kein Saufgelage…

Wir ziehen los und geraten in einen Tsunami. Heute ist die offizielle Feier der Petersburger Schulabgänger. Heute fließt die Newa andersrum.

Kirill mit Winkelement

Kirill mit Winkelement

Der Newski-Prospekt ist seit dem Nachmittag für Autos gesperrt und eine gigantische Partymeile. In Sankt Petersburg ist heute schlafen verboten. Denis und Kirill wollen zum Winterpalast. Seit Tagen wurde dort an einer riesigen Bühne geschraubt. Überall johlende, singende, tanzende Menschen. Überraschend wenig Methanolgeschädigte. Wir treiben so mit und Denis versucht mir noch Sehenswürdigkeiten zu erklären. Verlorene Mühe. Allerdings schaffen wir es nicht, bis zur Bühne vorzudringen. Der Platz vorm Winterpalais ist weiträumig abgesperrt und die Jungs mit den Tellermützen lassen wirklich nur Schulabgänger durch, wahrscheinlich, um die Party im Rahmen zu halten. Wir können irgendwie nicht glaubhaft machen, heute die Schule beendet zu haben, obwohl ich mich am Morgen rasiert habe. Nun denn, trotzdem gute Stimmung. Gegen drei verabschieden wir uns dann. Bin total breit. Wir werden in Kontakt bleiben.

21. Juni

Wassili ist der Meinung, dass ich Kraft brauche. Wassili ist Professor an der hiesigen Kunsthochschule und mein Vermieter. Außerdem hat sich herausgestellt, dass er den Klotzscher Wasserturm kennt. Ausgerechnet mitten in Sankt Petersburg trifft man jemand, der schon mal in Klotzsche und Hellerau war. Nun ja… Kraft also… Es gibt Kascha, die berühmte Buchweizengrütze. Ich gucke erstmal begeistert. Ökologischer Anbau wird mir noch gesagt. So, so…

Kascha aus ökologischem Anbau

Kascha aus ökologischem Anbau

Ganz ehrlich: es ist nicht ganz mein Ding. Aber ich esse tapfer auf. Heute ist mein letzter Tag an der Newa. Ich bin noch so ein wenig wacklig von gestern. Kirill ruft nochmal an, vielleicht treffen wir uns Morgen vor der Abfahrt nochmal. Heute sind Reisevorbereitungen angesagt. Motorrad durchsehen, Ölstände prüfen, Schrauben festziehen. Mir fällt nichts Besorgniserregendes auf. Morgen geht’s in den Wald. Auf dem Weg nach Murmansk ist ein kleiner Abstecher nach Archangelsk geplant. Eintausenddreihundert Kilometer, am nächsten Freitag soll es vollbracht sein. Ab in die Wildnis. Schon auf der Karte sieht’s sehr abgeschieden aus. Nu, budjet. Wenn das Motorrad läuft und die Tellermützen nicht zu sehr die Hand aufhalten, ist es bequem zu schaffen- Ladogasee, Onegasee, Wald, Wald und dazwischen wahrscheinlich Bäume. Wird Zeit, dass ich aus der Stadt rauskomme. Waren aufregende Tage aber die Stadt vereinnahmt und fordert. Schnell, laut, mitreißend. Ruhe ist selten.

Nun denn, ab Morgen gilt es. Abends noch Abschied von der Newa. Weiter auf dem Motorrad von Dresden nach Murmansk.

Poka, Newa!

Poka, Newa!

Internet gibt’s dann in Archangelsk wieder.