Auf dem Motorrad von Dresden nach Murmansk XVII

13.07.2014

Es ist kaum Verkehr auf den Straßen. Kaum zu glauben, aber hier ist wirklich Sonntag. Kein Vergleich zu Sankt Petersburg und auch zu Archangelsk. Es geht geruhsam zu. Die meisten Geschäfte haben geschlossen. Ich mache mich auf den Weg, die Stadt zu erkunden. Murmansk ist eine Industrie- und Hafenstadt. Sozialistische Hochhaussiedlungen auf den umliegenden Hügeln blicken auf den am Fjord gelegenen Hafen herab. Tourismus ist hier offensichtlich nicht vorgesehen. Aber jetzt, im Polarsommer, empfängt mich die Stadt offen und freundlich. Erinnerungen an Archangelsk kommen auf, obwohl hier scheinbar alles eine Nummer größer dimensioniert ist. Auch hier die Bauten der Sowjetzeiten, dazwischen vereinzelte alte Holzhäuser und die Glas- und Stahlbetonkathedralen der postsowjetischen Realität. Mein alter Bekannter, Herr Uljanow, blickt von einigen Stellen autoritär in die Runde.

Gruß aus einer anderen zeit

Gruß aus einer anderen Zeit

Murmansk ist eine Heldenstadt. Diese Auszeichnung bekamen Städte, in denen in Krieg besonders schwere Kämpfe stattfanden. Über den eisfreien Hafen erhielt die Sowjetunion große Teile der amerikanischen und britischen Rüstungslieferungen. Entsprechend umkämpft war dieser Ort. Es gelang den deutschen und finnischen Truppen jedoch nie, Murmansk einzunehmen und diese wichtige Nachschublinie zu unterbrechen. Der Rückblick auf den Krieg ist auch heute noch allgegenwärtig in Murmansk. Weit über der Stadt auf einem Berg steht die riesige Statue eines Sowjetsoldaten, der die gesamte Stadt überblickt. Ich mache mich auf den Weg, den Soldaten zu besuchen. Zu meinem Glück geht die Trolleybuslinie 4 bis direkt dorthin.

ÖPNV am Rande der Arktis

ÖPNV am Rande der Arktis

Das Nahverkehrssystem scheint vorbildlich, obwohl die Busse wohl schon bessere Tage gesehen haben. Aber sie fahren im Fünfminutentakt und sind mit umgerechnet vierzig Cent für eine Fahrt preislich unschlagbar. Obern auf dem Berg ist erstmal Volksfest. Der Ort scheint ein beliebtes Ziel für Sonntagsausflügler zu sein. Musik, Rummel und Schaschlykstände. Die Schaschlykstände sind hier wohl das, was in Deutschland die Bratwurstbuden sind.

Schaschlyk geht immer

Schaschlyk geht immer

Ich kann mich dem Duft nicht entziehen. Dazu ein frischgezapftes Bier. Ringsum entspannte Menschen. Familien mit Kindern, Cliquen von Jugendlichen, Rentner, alle sind da. Eine gelöste Atmosphäre. Nach dem ich den See umrundet habe, auf dem zahllose Ruderboote fahren, bin an der Statue und der ewigen Flamme.

Der Soldat über Murmansk

Der Soldat über Murmansk

Auch hier werden der feierliche Ernst und die Strenge der Stätte durch herumtobenden Kinder auf eine sehr schöne Weise relativiert. Vergangenheit und Zukunft durchdringen sich. Wie selbstverständlich tummeln sich die Kinder auf den hier zur Erinnerung aufgestellten Geschützen aus Kriegszeiten.

Vergangenheit und Zukunft

Vergangenheit und Zukunft

Der Soldat schaut in die Ferne, nach Westen. Der Ausblick auf Murmansk ist überwältigend. Stadt und Hafen liegen mir zu Füßen.

Ausblick

Ausblick

Im Hafen sehe ich die „Lenin“ liegen. Das Schiff war der weltweit erste Atomeisbrecher und liegt heute hier als Museum. Ich mache mich auf den Rückweg. Touristisch ist Murmansk kein Hotspot aber es tut gut, nach den Tagen am Onegasee und den Nächten unterwegs wieder städtische Atmosphäre zu geniessen. Die Nacht wird kurz, da auch das russische Fernsehen das Finale aus Brasilien überträgt. Es ist ein Moment, an dem ich gern zu Hause gewesen wäre, um das Match in Gesellschaft zu genießen. Und ich freue mich für die deutsche Mannschaft, dass sie diesen Glanzpunkt setzen kann.

14.07.2014

„Museum nie rabotajet?“ frage ich einen Mann in blauer Arbeitskombi. Ich stehe vor dem Atomeisbrecher und wundere mich über die Absperrung. Er murmelt etwas, was ich nicht richtig verstehe und deutet auf die Hinweistafel. Montag und Dienstag ist das Museum geschlossen. Verdammt ärgerlich. Es wäre die einmalige Chance gewesen, dieses legendäre Schiff zu besichtigen.

Der Atomeisbrecher

Der Atomeisbrecher

Ich bin kein Seefahrtsfanatiker aber das hätte ich gern gesehen. Und ich kann mir nicht vorstellen, dass es ein nächstes Mal gibt. Schweren Herzens mache ich noch ein paar Bilder und verlasse den Schauplatz. Der Tag vergeht mit Reisevorbereitungen. Lebensmittel einkaufen und die URAL noch mal „streicheln“. Die Reise auf dem Motorrad von Dresden nach Murmansk ist Geschichte. Morgen steht die endgültig letzte Etappe auf russischem Boden an. Ziel ist das norwegische Kirkenes. Danach geht es nach Hause. Was von Murmansk bleibt, ist der Eindruck einer modernen, lebendigen Stadt, die fest in der Gegenwart steht und ihre Vergangenheit lebendig hält.

4 Gedanken zu „Auf dem Motorrad von Dresden nach Murmansk XVII

  1. Hallo Micha,

    herrliche Geschichten! Bin neugierig, was du noch so zu erzählen und zu zeigen hast. Ich wünsche dir noch eine schöne, spannende Zeit mit weiteren interessanten Bekanntschaften.

    Conny

    PS: Dein Schreibstil gefällt mir ausgesprochen gut.

  2. Hallo Micha,
    Schade eigentlich, dass es schon vorbei ist. Ich habe Deinen Blog gern gelesen. Freue mich auch schon auf mündliche Schilderungen, gern beim Bier …. 😉
    Wsjewo choroschjewo!
    Wulf

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