Wie lang soll die Brücke sein?

Kerkwitzer Ansichten

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Es ist diese verdammte Ungewissheit. „Horno ist das letzte Dorf, das der Braunkohle weichen muss!“ verkündete in den neunziger Jahren Manfred Stolpe, damals Ministerpräsident Brandenburgs. Heute, im Jahre 2014 scheint es eine der üblichen Politikerfloskeln zu sein: ausgesprochen, vergessen. Horno, zumindest die alte sorbische Siedlung, ist verschwunden. Aber irgendwie scheint sich keiner mehr an Herrn Stolpes Versprechen zu erinnern. Keiner? Nicht ganz.

Ich sitze in Kerkwitz, einem Dorf mit knapp  fünfhundert Einwohnern in der Nähe von Guben in der Niederlausitz. Ich möchte wissen, wie es in einem Dorf aussieht, das von der Abbaggerung bedroht ist. Mein Gesprächspartner ist Andreas Stahlberg. Der Fünfundvierzigjährige ist Mitarbeiter der Gemeinde Schenkendöbern, zu der auch Kerkwitz gehört. Er ist verantwortlich für den Bereich „bergbaubedingte Sonderaufgaben“, direkt dem Bürgermeister unterstellt. Und diese Sonderaufgaben gibt es reichlich. Der Tagebau Jänschwalde, nicht weit von der Gemeinde Schenkendöbern, sorgt heute schon für Probleme. Abgesenktes Grundwasser, Schäden an Straßen und Gebäuden, Lärm, Staub und regelmäßige Sandstürme sind Dinge, die die Einwohner beschäftigen. Und um die sich Andreas Stahlberg kümmert. Wann ist ein Schaden ein Bergschaden? Eine typische Frage. Aber es soll noch dicker kommen.

Andreas Stahlberg erzählt: „Im Jahre 2004 wurde Horno umgesiedelt und der damalige Ministerpräsident Manfred Stolpe hat den Bürgern hier zugesichert, Horno sei das letzte Dorf, welches in der Lausitz umgesiedelt werden soll. Darauf haben sich die Bürger verlassen. Die Eintragungen aus DDR-Zeiten, dass die Gegend ein Vorbehaltsgebiet ist, sind gelöscht worden. Dann kam 2007 die Ankündigung von Vattenfall, dass hier ab 2025 ein neuer Tagebau entstehen soll. Seit dem weiß man eben nicht, wie es weitergeht.“ Vorbehaltsgebiet, ein Begriff aus der Regionalplanung, ist letztendlich ein Damoklesschwert für die betroffenen Gemeinden. Konkret hieß das zu DDR-Zeiten, dass die Braunkohleförderung, so sie als wirtschaftlich einigermaßen sinnvoll erachtet wurde, Vorrang vor der Erhaltung der Siedlungsstrukturen hatte. Das schien für Kerkwitz vom Tisch. Dann kam Vattenfall. Und wollte den Tagebau Jänschwalde-Nord. Nun liegt zwischen Ankündigung und Abbau ein ziemlich langer Weg. Das Braunkohleplanverfahren für Jänschwalde-Nord ist 2009 eröffnet worden. Im Jahre 2011 gab es einen sogenannten Scoping-Termin, wo unter Mitwirkung der Behörden festgelegt wurde, was bezüglich der Umweltauswirkungen des neuen Tagebaues untersucht werden muss. Dieser Termin sollte innerhalb von drei Monaten ausgewertet werden. Gedauert hat es schließlich ein Jahr. 2015 sollte der Braunkohleplan eigentlich schon beschlossen sein und momentan existiert noch nicht mal ein Entwurf. Andreas Stahlberg ist überzeugt, dass der Tagebau nicht kommt. „Vattenfall und die Landesregierung sagen, dass der neue Tagebau für ein Neubaukraftwerk am Standort Jänschwalde zur Verfügung stehen soll, welches mit CCS Technik gebaut werden soll.“ Das bedeutet die Abspaltung des entstehenden Kohlendioxids und seine Lagerung in tiefen Gesteinsschichten. Proteste in den Gebieten, die für eine CO2 -Einlagerung vorgesehen waren, führten letztendlich zu einer CCS-Gesetzgebung in Deutschland, die eine kommerzielle Nutzung des Verfahrens  für Kohlekraftwerke unmöglich macht. Aber es ist eben nicht sicher. Und so lange ist auch die Zukunft des Dorfes ungewiss. Und es zermürbt natürlich. Sicher, Vattenfall versucht zunächst die gütliche Einigung, die in den meisten Fällen auch gelingt, denn der Druck ist riesig. Vattenfall nennt es selbst den „Lausitzer Weg“. Der rein materielle Aspekt ist relativ lukrativ. Andreas Stahlberg: „Es gibt ein Haus für ein Haus, eine Feuerwehr für eine Feuerwehr. Schwierig wird es wenn es um Ländereien geht. Die Landwirte haben letztendlich weniger Fläche.“ Am Ende erlaubt die Bergbaugesetzgebung in Deutschland die Enteignung bei erteilten Genehmigungen. Übriges auf der Grundlage eines Gesetzes, welches erst in den 1930er Jahren dahingehend geändert wurde, dass besiedeltes Gebiet enteignet werden kann. Ein Gesetz aus der Nazizeit als Grundlage? Das hat einen Beigeschmack. Dessen scheint sich auch Vattenfall bewusst zu sein, denn der „Lausitzer Weg“ beinhaltet nicht nur die Entschädigung bei Umsiedlung. Der schwedische Konzern tritt bereits heute als Sponsor in der Region auf. Dorffeste werden unterstützt, bei Bedarf auch Gerät für die dörflichen Feuerwehren finanziert, Vereine wie Energie Cottbus und die „Füchse“ Weisswasser erhalten Zuwendungen. Vattenfall lässt sich die Stimmung in der Region einiges kosten. Und Vattenfall ist in den lokalen Strukturen hervorragend vernetzt. Es gibt einen Verein „ Pro Lausitzer Braunkohle“, der, so Andreas Stahlberg, von Vattenfall mitfinanziert wird. Dort sitzen Bundestags- und Landtagsabgeordnete. Der Präsident der Industrie- und Handelskammer ist im Vorstand von Vattenfall. Die Wirtschaftinitiative Lausitz wurde vom schwedischen Konzern ins Leben gerufen. Die Gewerkschaft, auf Seiten der Braunkohle stehend, stellt viele Bundestagsabgeordnete in verschiedenen Parteien. Die Interessen prallen aufeinander. Denn es geht im Kern auch um die Lausitz als Industriestandort und somit um Arbeitsplätze. Verschiedene Studien sprechen von ungefähr zehntausend direkten und indirekten Arbeitsplätzen, die von der Kohle abhängen. Die Zahlen in den Studien gehen allerdings weit auseinander und sind nicht ohne weiteres verifizierbar. Das macht eine objektive Bewertung sehr schwer. Fakt ist, Vattenfall ist der größte Einzelarbeitgeber in der Region. Die Lausitz zeigt  mit der Braunkohle Anzeichen einer wirtschaftliche „Monokultur“. Das sind gewichtige Argumente, zumal Arbeitnehmer auch immer Wähler sind. Und es geht um sichere Energie. Aber muss das die Braunkohle sein? Die Verstromung von Braunkohle ist eine Brückentechnologie. Aber wie weit reicht die Brücke in die Zukunft? „Ein Strukturwandel ist machbar“, stellt Andreas Stahlberg fest. Wenn die Akzeptanz des Tagebaues in der Bevölkerung sink, sinkt auch die politische Unterstützung. Bei der Strategischen Umweltprüfung, die für die Neueröffnung zwingend ist, ist es vorgeschrieben festzustellen, ob es Alternativen gibt. „Das heißt nicht, dass es alternative Tagebaue geben muss“, so Andreas Stahlberg. Das Ziel des Braunkohleplanes sei nicht die Erhaltung von Arbeitsplätzen, sondern die sichere Energieversorgung. Die Frage ist letztendlich, ob es alternative Wege gibt, den Strom zu erzeugen. In der Lausitz gibt ein hohes Potential für alternative Energien, viele freie, rekultivierte Flächen, dünn besiedelte Gebiete. Die Lausitz hat sich bereits als Energieregion profiliert. „Ich glaube, dass es auch weiterhin so bleiben wird“, ist sich mein Gegenüber sicher. Die Braunkohle ist irgendwann zu Ende, egal, wie lange sie letztendlich noch gefördert wird. Und dann muss ohnehin ein Strukturwandel stattfinden. Nur der Preis dafür wird höher, je länger man mit dem Strukturwandel wartet.

Was bleibt, ist die Unsicherheit. Die Menschen in Kerkwitz sind zuversichtlich. Noch einmal Andreas Stahlberg:“ In den letzten zwei, drei Jahren tut sich hier wieder einiges. In den ersten vier, fünf Jahren nach der Ankündigung war hier so ein richtiger Stillstand. Es wurde nur noch repariert. Wir hatten lange Zeit keinen Zuzug von Familien mehr. Jetzt bleiben die Familien wieder hier. Man muss sagen, dass die Leute, die jetzt hier bauen, auch tatsächlich aus Protest bauen. Sie sagen, wir wollen hier bleiben. Ich kenne die Leute und ich weiß, es ist ihnen ein inneres Bedürfnis zu zeigen: dieses Dorf soll erhalten bleiben.“

Die Braunkohle polarisiert die Menschen in der Lausitz. Pro oder Contra? Von der Beantwortung dieser Frage hängt die Zukunft der Region ab.

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