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Stalins Erben und die Arroganz der Sieger

Gibt es Krieg in Europa? Die Zeitung mit den vier Buchstaben stellte diese Frage unlängst auch unübersehbar. Gut, das ist Polemik  und die Situation heute mit der 1914 zu vergleichen, ist auch nicht gerade korrekt. Was passiert in der Ukraine? Was macht Putin? Jeden, der einigermaßen bei Verstand ist, dürften diese Fragen interessieren. Die Medien sind voll von Beschimpfungen und Schuldzuweisungen in Richtung des „Zaren“. Zu Recht? Ich denke ja und dennoch bringt uns die reine, helle Empörung, dass seine Auffassungen von Recht und Gesetz nicht akzeptabel sind, nicht unbedingt weiter.

Die derzeitige Situation kommt nicht wirklich überraschend. Überraschend ist nur, wie unklug der Westen (wenn man von diesem als einem homogenen Gebilde sprechen kann) reagiert. Was wir heute sehen, sind auch (immer noch) die Folgen Stalinscher Nationalitätenpolitik. Teile und herrsche – im ursprünglichen Sinn. Völker wurden hin und her verschoben, Grenzen willkürlich gesetzt, so dass am Ende nur noch Misstrauen und Feindschaft übrig blieben. Aber die Sowjetunion war ein Land, das heißt ihre Bewohner siedelten überall, auch wenn sie nicht immer miteinander klarkamen. Dieses Land existierte immerhin siebzig Jahre, also zwei bis drei Generationen lang.

Und genau das wurde völlig außer Acht gelassen, als die Sowjetunion zerfiel und sich Nationalstaaten formierten. Millionen Russen lebten nun plötzlich außerhalb des „neuen“ Mutterlandes-  und trotzdem weiterhin in ihrer bisherigen Heimat. Sie wurden und werden oft schwer diskriminiert. Es war abzusehen, dass dies irgendwann Probleme bereitet. Die russischen Machthaber haben den Zerfall des einstigen Sowjetreiches nie akzeptiert. Der Westen hat in den 90er Jahren den hoffnungslosen Trinker Jelzin unterstützt, nicht sehend oder nicht sehen wollend, dass der alte Machtapparat erhalten blieb, zumindest die handelnden Personen und ihre Beziehungen untereinander. Viele derer, die heute das Sagen haben, begannen ihre Karriere in der alten KPdSU. Hat denn wirklich jemand geglaubt, dass diese sich mit dem Schrumpfen ihres einstigen Herrschaftsbereiches einfach so abfinden? Zumal die Dinge im Falle der Ukraine und ganz besonders im Falle der Krim nicht so eindeutig sind wie beispielsweise in den baltischen Staaten, die 1940 annektiert wurden. Die Ukraine ist heute bereits ein gespaltenes Land. Der Westen, Teil der alten k.u.k. Monarchie mit Städten wie Lemberg, waren immer etwas anderes als das Land östlich des Dnepr. Das war die Sowjetukraine. Und die Krim und die Schwarzmeerküste? Am Schwarzen Meer stand unter Peter I. die Wiege der russischen Schwarzmeerflotte, auf der Krim wurde das bekannte Abkommen von Jalta unterzeichnet, Odessa ist Schauplatz von Sergej Eisensteins berühmten Film „Panzerkreuzer Potemkin“. Die gesamte Gegend ist untrennbar mit der russischen Geschichte verbunden. Das kann man nicht einfach ignorieren. Und hier beginnt das Versagen des Westens. Spätestens als Wladimir Putin durch Gesetzesänderungen begann, seine Macht auf Lebenszeit zu zementieren, hätte man erkennen müssen, dass die Zeichen auf Restauration stehen. Und man hätte reagieren müssen. Zweifellos ist Putin kein Demokrat (by the way- bei unseren amerikanischen Verbündeten habe ich da auch meine Zweifel). Aber wir müssen akzeptieren, dass er eines der größten Länder der Erde regiert, welches immer noch über eine gewaltige Militärmacht und riesige Rohstoffvorkommen verfügt. Daran kommt man nicht vorbei, ob es uns gefällt oder nicht. Der Westen, sowohl seine politischen Führer als auch die Medien, hat dagegen Putin immer als Paria behandelt, als einen, den man nicht dabei haben will. Sehr gut zu beobachten an der Berichterstattung deutscher Medien über die Olympiade in Sotschi- teilweise unverhohlene Häme über die angebliche Unfähigkeit der Russen, irgendetwas auf die Beine zu stellen. Fast hatte man den Eindruck der Enttäuschung über den glatten Verlauf der Veranstaltung. Arroganz und Abfälligkeit diesem Land und seinen Bewohnern gegenüber sind allgegenwärtig.

Putin wird das Schicksal der Russen auf der Krim persönlich egal sein. Aber das äußerst ungeschickte antirussische Gebaren der neuen ukrainischen Regierung, wohlwollend geduldet vom Westen, war eine gigantische Steilvorlage für Moskau. Die Krim war für die Russen nie Ausland. Und der Westen, speziell die EU? Kaum zu glauben, dass man die Situation in der Ukraine über Monate beobachtete und anscheinend wirklich dachte, das Problem ohne Russland lösen zu können. Wie blind darf man eigentlich sein? Es war abzusehen, dass sich die Situation irgendwann entlädt. Putin ist in dieser Hinsicht berechenbar. Es war klar, dass er versuchen wird, seine Interessen zu wahren und das die Krim ein Brennpunkt sein wird. Steinmeier hätte nach Moskau statt nach Kiew reisen sollen, das hätte den Menschen in der Ukraine mittelfristig mehr geholfen. Nun haben die Russen die Krim faktisch besetzt und ist schwer vorstellbar, dass sie ihr Militär kurzfristig wieder abziehen. Und der Westen ist hoffentlich klug genug, von einer militärischen Option die Finger zu lassen. Putin muss an den Verhandlungstisch und dazu muss man ihn als Verhandlungspartner zumindest respektieren, auf wenn es schwer fällt. Was tut der Westen? Er ruft nach Sanktionen. Das klingt  hilflos. Wie sollen die aussehen? Kaufen wir kein russisches Gas mehr? Schließen wir die Absatzmärkte für europäische Waren, Exportmärkte von denen gerade die deutsche Wirtschaft abhängt?

Russland militärisches Vorgehen ist nicht akzeptabel. Aber der Westen hat sich seine Möglichkeiten der Einflussnahme schon längst verbaut. Durch die Arroganz des vermeintlichen Siegers. Ein später Triumph Stalins und Stalins Erben?