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Dresden-Murmansk-Dresden. Die Heimkehr.

17.08.2014

Es ist ein seltsames Gefühl. Wieder zu Hause. Nach neun Wochen. Und es ist ein gutes Gefühl. Die Rückreise verlief unspektakulär. Es schien kein nennenswertes Wasser mehr im Motor zu sein. Eine längere Instandsetzung ist dennoch nötig. Der Verschleiß war hoch. Die Reise auf dem Motorrad von Dresden nach Murmansk hat dem Material alles abverlangt. Fast neuntausend Kilometer standen zum Schluss auf dem Tacho.

Es waren aufregende und anstrengende Wochen. Manches Mal habe ich mich unterwegs gefragt, ob es denn eine gute Idee war, diese Tour zu machen. Jetzt, eine Woche nach der Rückkehr, bin ich mir sicher, dass es gut war. Und ich werde wieder dorthin fahren. Nicht mit dem Motorrad, zumindest nicht mit der URAL. Die ist mittlerweile doch zu betagt.

Der Alltag hat mich noch nicht wieder eingeholt. Mein Sabbatical endet am 31. August. Noch ein paar Tage Zeit, die Gedanken zu sortieren, noch einmal durchzuatmen.

Hier noch einmal die Karte der gesamten Tour. Wer nocheinmal wissen möchte, wie alles begann, kann hier klicken.

 

Auf dem Motorrad von Dresden nach Murmansk – Ende

„Guten Tag!“ Ich bin kurz erstaunt, dass ich deutsch angesprochen werde. Ich bin es kaum noch gewohnt. Die norwegische Grenzfrau lächelt freundlich. Russland liegt hinter mir. Zweihundert Kilometer trennen mich jetzt von Murmansk. Zweihundert Kilometer durch subarktische Einsamkeit. Niedriges Buschwerk, Felsen und kleine Seen, mehr war nicht. Kaum Ortschaften. Kasernen und Militäranlagen, ja. Irgendwann der Schlagbaum, mitten im Nirgendwo. Kirkenes, der russisch-norwegische Grenzort. Fünfeinhalb Wochen durch Osteuropa liegen hinter mir. Fünfeinhalb Wochen und über sechstausend Kilometer auf der URAL. Die Reise auf dem Motorrad von Dresden nach Murmansk ist endgültig Geschichte. Nach kaum zwanzig Minuten stehe ich auf der anderen Seite des Schlagbaums und habe das Gefühl, wieder in meiner Welt angekommen zu sein. Was bleibt? Russland ist anders, anders als Deutschland, anders auch als Polen und das Baltikum. Es ist schwer zu beschreiben. Die kyrillische Schrift trägt ihren Teil dazu bei. Die Straßen sind teilweise ein Albtraum. Die Städte und Dörfer sind nach unseren Maßstäben heruntergekommen, die Industriebetriebe üble Dreckschleudern. Und doch fasziniert mich dieses riesige Land immer wieder auf’s Neue. Die Menschen, die auf den ersten Blick verschlossen wirken, sind oft hilfsbereit und freundlich. Ich hab es häufig erst gespürt, als ich Probleme hatte. „Brauchst Du Hilfe?“ wurde ich oft gefragt, wenn ich am Straßenrand versucht habe, die URAL wieder in Gang zu kriegen. Klar spreche ich ein wenig russisch aber ich bin doch ein Fremder. Und ich habe hier deswegen nicht einmal Ablehnung erfahren. Im Gegenteil. Ich wurde gefragt, wo ich herkomme, wo ich hin will und auch, ob es mir in Russland gefällt. Smalltalk, sicherlich und trotzdem tut es manchmal gut. Das Land befindet sich in einem Umbruch, denke ich. Seit meiner letzten Reise ist es wesentlich offener geworden. Formalitäten an der Grenze waren nicht mehr so kompliziert wie vor sechs Jahren. Das fast schon paranoide Meldewesen für Ausländer ist drastisch gelockert worden. Riesige Straßenbaustellen, auf denen gearbeitet wird. Die Reise war erstaunlich unkompliziert. Alles hat problemlos funktioniert. Und ich habe interessante, freundliche und großzügige Menschen kennengelernt. Man kann in diesem Land reisen, wenn man bereit ist, sich darauf einzulassen. Und zu dieser Akzeptanz gehört auch die Bereitschaft, die westliche Brille abzulegen. Zu akzeptieren, dass es eine andere Sichtweise auf die jüngere Geschichte gibt. Die Ukrainekrise liegt wie ein Schatten auf diesem Land. Fernsehgeräte sind allgegenwärtig, in Läden, in den kleinen Cafes, in Hotelrezeptionen. Der Krieg in der Ukraine ist präsent. Und dann trifft man auf Menschen, die überhaupt nicht dem Klischee des nationalistischen, propagandaabhängigen Durchschnittsrussen entsprechen und diese Menschen haben auf die Dinge eine völlig andere Sichtweise, als uns unsere Mainstreammedien verordnen. Man muss ihre Sichtweise nicht übernehmen aber über einige Dinge darf man ruhig einmal nachdenken. Ja, wir sind im Westen oft weiter und moderner. Unsere Infrastruktur ist besser und unser Lebensstandard insgesamt höher. Aber daraus leitet sich kein Anspruch auf Überlegenheit ab, wozu man im Westen nicht selten neigt. Wenn man die Selbstverständlichkeit schafft, die Menschen auf Augenhöhe zu sehen, kann man dort eine wunderbare Zeit haben. Ich war nur kurz hier und möchte mir nicht anmaßen, Russland zu verstehen. Manche Dinge werden mir ewig fremd bleiben. Der aus unserer Sicht sehr unkritische Umgang mit der Vergangenheit gehört dazu. Der Kommunismus war ein Fluch für dieses Land und dennoch sind Leninstatuen allgegenwärtig. Und dennoch, ich glaube, dass sich dieses Land modernisiert. Russland ist viel mehr europäisch als asiatisch.

до свида́ния Росси́я

Brotauto

Auf dem Motorrad von Dresden nach Murmansk XVII

13.07.2014

Es ist kaum Verkehr auf den Straßen. Kaum zu glauben, aber hier ist wirklich Sonntag. Kein Vergleich zu Sankt Petersburg und auch zu Archangelsk. Es geht geruhsam zu. Die meisten Geschäfte haben geschlossen. Ich mache mich auf den Weg, die Stadt zu erkunden. Murmansk ist eine Industrie- und Hafenstadt. Sozialistische Hochhaussiedlungen auf den umliegenden Hügeln blicken auf den am Fjord gelegenen Hafen herab. Tourismus ist hier offensichtlich nicht vorgesehen. Aber jetzt, im Polarsommer, empfängt mich die Stadt offen und freundlich. Erinnerungen an Archangelsk kommen auf, obwohl hier scheinbar alles eine Nummer größer dimensioniert ist. Auch hier die Bauten der Sowjetzeiten, dazwischen vereinzelte alte Holzhäuser und die Glas- und Stahlbetonkathedralen der postsowjetischen Realität. Mein alter Bekannter, Herr Uljanow, blickt von einigen Stellen autoritär in die Runde.

Gruß aus einer anderen zeit

Gruß aus einer anderen Zeit

Murmansk ist eine Heldenstadt. Diese Auszeichnung bekamen Städte, in denen in Krieg besonders schwere Kämpfe stattfanden. Über den eisfreien Hafen erhielt die Sowjetunion große Teile der amerikanischen und britischen Rüstungslieferungen. Entsprechend umkämpft war dieser Ort. Es gelang den deutschen und finnischen Truppen jedoch nie, Murmansk einzunehmen und diese wichtige Nachschublinie zu unterbrechen. Der Rückblick auf den Krieg ist auch heute noch allgegenwärtig in Murmansk. Weit über der Stadt auf einem Berg steht die riesige Statue eines Sowjetsoldaten, der die gesamte Stadt überblickt. Ich mache mich auf den Weg, den Soldaten zu besuchen. Zu meinem Glück geht die Trolleybuslinie 4 bis direkt dorthin.

ÖPNV am Rande der Arktis

ÖPNV am Rande der Arktis

Das Nahverkehrssystem scheint vorbildlich, obwohl die Busse wohl schon bessere Tage gesehen haben. Aber sie fahren im Fünfminutentakt und sind mit umgerechnet vierzig Cent für eine Fahrt preislich unschlagbar. Obern auf dem Berg ist erstmal Volksfest. Der Ort scheint ein beliebtes Ziel für Sonntagsausflügler zu sein. Musik, Rummel und Schaschlykstände. Die Schaschlykstände sind hier wohl das, was in Deutschland die Bratwurstbuden sind.

Schaschlyk geht immer

Schaschlyk geht immer

Ich kann mich dem Duft nicht entziehen. Dazu ein frischgezapftes Bier. Ringsum entspannte Menschen. Familien mit Kindern, Cliquen von Jugendlichen, Rentner, alle sind da. Eine gelöste Atmosphäre. Nach dem ich den See umrundet habe, auf dem zahllose Ruderboote fahren, bin an der Statue und der ewigen Flamme.

Der Soldat über Murmansk

Der Soldat über Murmansk

Auch hier werden der feierliche Ernst und die Strenge der Stätte durch herumtobenden Kinder auf eine sehr schöne Weise relativiert. Vergangenheit und Zukunft durchdringen sich. Wie selbstverständlich tummeln sich die Kinder auf den hier zur Erinnerung aufgestellten Geschützen aus Kriegszeiten.

Vergangenheit und Zukunft

Vergangenheit und Zukunft

Der Soldat schaut in die Ferne, nach Westen. Der Ausblick auf Murmansk ist überwältigend. Stadt und Hafen liegen mir zu Füßen.

Ausblick

Ausblick

Im Hafen sehe ich die „Lenin“ liegen. Das Schiff war der weltweit erste Atomeisbrecher und liegt heute hier als Museum. Ich mache mich auf den Rückweg. Touristisch ist Murmansk kein Hotspot aber es tut gut, nach den Tagen am Onegasee und den Nächten unterwegs wieder städtische Atmosphäre zu geniessen. Die Nacht wird kurz, da auch das russische Fernsehen das Finale aus Brasilien überträgt. Es ist ein Moment, an dem ich gern zu Hause gewesen wäre, um das Match in Gesellschaft zu genießen. Und ich freue mich für die deutsche Mannschaft, dass sie diesen Glanzpunkt setzen kann.

14.07.2014

„Museum nie rabotajet?“ frage ich einen Mann in blauer Arbeitskombi. Ich stehe vor dem Atomeisbrecher und wundere mich über die Absperrung. Er murmelt etwas, was ich nicht richtig verstehe und deutet auf die Hinweistafel. Montag und Dienstag ist das Museum geschlossen. Verdammt ärgerlich. Es wäre die einmalige Chance gewesen, dieses legendäre Schiff zu besichtigen.

Der Atomeisbrecher

Der Atomeisbrecher

Ich bin kein Seefahrtsfanatiker aber das hätte ich gern gesehen. Und ich kann mir nicht vorstellen, dass es ein nächstes Mal gibt. Schweren Herzens mache ich noch ein paar Bilder und verlasse den Schauplatz. Der Tag vergeht mit Reisevorbereitungen. Lebensmittel einkaufen und die URAL noch mal „streicheln“. Die Reise auf dem Motorrad von Dresden nach Murmansk ist Geschichte. Morgen steht die endgültig letzte Etappe auf russischem Boden an. Ziel ist das norwegische Kirkenes. Danach geht es nach Hause. Was von Murmansk bleibt, ist der Eindruck einer modernen, lebendigen Stadt, die fest in der Gegenwart steht und ihre Vergangenheit lebendig hält.

Auf dem Motorrad von Dresden nach Murmansk XVI

Ein kurzer Rückblick…

12. Juli

Ich würde mir auch kein Zimmer geben. Verdreckt, zerstochen und unrasiert stehe ich an der Hotelrezeption in Murmansk. Die Frau hinter dem Tresen schaut skeptisch, zu Recht. Ich glaube, verwahrlost umschreibt meinen Zustand ganz gut. Meine letzte Dusche hatte ich vier Tage zuvor in Medveshegorsk. Zum Glück habe eine Reservierung. Medveshegorsk ist im Wesentlichen ein Eisenbahnknotenpunkt mit einer kleinen Stadt drum herum. Dem Hotel dort konnte ich nicht widerstehen, der Gedanke einen geruhsamen Fußballabend mit Chips, Bier und Halbfinale war zu stark. Hat sich aber auch gelohnt. Am nächsten Morgen nehme ich dann die letzten 700km bis Murmansk in Angriff. Die M18 führt schnurgerade nach Norden. Die Orte liegen weit auseinander. Fahren, fahren, fahren. Die Gegend ist alles andere als abwechslungsreich. Abends wird es schwierig, ein Nachtlager zu finden. Links und rechts der Straße erstreckt sich Sumpf.

Kein Zeltplatz

Kein Zeltplatz

Am Ende findet sich jedoch etwas. Die sonst sehr gute Straße ist an dieser Stelle eine gigantische Baustelle. Die Tankstellen werden gewöhnungsbedürftig.

Tanken im Nirgendwo

Tanken im Nirgendwo

Fahren, Kilometer fressen. Wald und Sumpf. Irgendwann dann der Polarkreis.

Am Polarkreis

Am Polarkreis

Ein kurzer Plausch mit russischen Motorradfahrern. Die M18 scheint eine beliebte Strecke zu sein. Fahren… Unterwegs noch der fällige Ölwechsel.

Kola-Halbinsel

Kola-Halbinsel

Fünftausend Kilometer bin ich schon unterwegs. Die Berge der Kola-Halbinsel kommen in Sicht. Die Landschaft wird zusehends karger. Und dreckiger. Die gigantische subarktische Landschaft mit ihren Flüssen und Seen inmitten niedriger Vegetation und schneebedeckten Bergen wird von völlig verwüsteten Arealen unterbrochen. Schornsteine vernebeln die Gegend. Es stinkt zum Himmel. In der Gegend um Montschegorsk, wo Nickel angebaut wird, ist es fast unerträglich. Eine übelriechende, apokalyptisch aussehende Mondlandschaft.

Mondlandschaft bei Montschegorsk

Mondlandschaft bei Montschegorsk

Wie in einem schlechten Film überfliegt noch ein Jagdbomber die Szenerie. Bodenschätze und Militärstützpunkte, damit ist die Bedeutung der Kola-Halbinsel umrissen. Der Wechsel von unberührt scheinender Waldlandschaft in diesen Albtraum ist erschütternd. Ich möchte nur noch schnell durch. Hinter Montschegorsk wird es besser.

Am letzten Tag macht die URAL auf einmal richtige Probleme. Unrunder Motorlauf, kein Zug mehr in den oberen Drehzahlbereichen. Diesmal sind alle Kontakte so, wie sie sein müssen. Hier scheint es ein ernsthaftes Problem zu geben. Ich tausche die Zündspule, da ich hoffe, dass das Problem aus dieser Richtung kommt. Es bringt nichts. Es gibt noch eine Chance. Ich wechsel das Zündmodul. Es funktioniert. Allerdings habe ich keine Ersatzteile mehr. Das Zeug muss jetzt dreitausend Kilometer halten. Es sind nur noch dreißig Kilometer bis Murmansk. Irgendwann bin ich da. Wie gesagt, leicht verwahrlost. So eine Dusche ist eine klasse Erfindung. Der Weg auf dem Motorrad von Dresden nach Murmansk ist geschafft.