Es geht nur noch um Kohle

Die Förderung und die Verarbeitung von Braunkohle prägen die Lausitz seit einhundertfünfzig Jahren. Und die Braunkohle spaltet die Region heute mehr denn je. Zwei Welten stehen sich hier gegenüber. Eine Reise zu den Gegensätzen.

Abraumbagger im Tagebau Nochten

Abraumbagger im Tagebau Nochten

Steppe, das ist mein erster Gedanke, als wir in den Tagebau einfahren. Das diesige Wetter verstärkt die Verlorenheit noch. Niedrige Birken und Gras auf einer Sandfläche, die ohne sichtbare Konturen irgendwo im Dunst verschwindet. Fahrzeugspuren verlieren sich im Nichts. Wir sitzen in einem für den Personentransport umgebauten LKW. Der schwedische Energiekonzern Vattenfall lässt seinen Tagebau Nochten, in der östlichen Lausitz, besichtigen. Es geht abwärts. All die Berichte kommen mir in den Sinn, die von unbeschreiblichen Landschaftszerstörungen durch die Braunkohle berichten. Sie scheinen zu stimmen. Gerd Philipp, unser Exkursionsleiter, spricht davon, dass wir durch ein Gebiet fahren, in dem bereits mit der Rekultivierung begonnen wurde. „Ein Tagebau wandert“ erklärt er. „Und zwar um circa vierhundert Meter im Jahr.“ Der Abraum, den die Bergleute auf der Suche nach neuer Kohle heben, füllt das alte, ausgekohlte Tagebauloch.

Gigantische Bandanlagen tauchen auf. Am Horizont sehe ich die Umrisse des Kraftwerkes Boxberg, die riesigen Kühltürme. Wir befinden uns am Kohlelagerplatz. Hier landet die Rohbraunkohle aus dem Flöz.Mit sogenannten Kombinierten Schütt- und Schaufelgeräten werden von hier die Bunker beschickt, wird der Kohlehunger des Energiemolochs gestillt. Ein solches Gerät kann bis 8000 Tonnen Kohle pro Stunde bewegen. Die Maschinen erinnern im Morgendunst an Dinosaurier. Im Tagebau Nochten werden 19 Millionen Tonnen Rohbraunkohle pro Jahr gefördert.Davon braucht allein das Kraftwerk Boxberg mit seinen vier Blöcken im Vollastbereich rund 65.000 Tonnen pro Tag. Auch die Brikettfabrik in Schwarze Pumpe bezieht ihre Kohle aus Nochten.

Unser nächstes Ziel ist der tiefste Punkt des Tagebaues, das Flöz. So nennen die Bergleute die Kohleschicht, die, geologisch gesehen, noch nicht einmal alt ist. Dieses sogenannte Zweite Lausitzer Flöz ist zwischen zehn und zwanzig Meter stark und liegt in ungefähr 100 Metern Tiefe. Braunkohle ist in der Lausitz seit dem Ende des 18. Jahrhunderts bekannt. Die industrielle Nutzung erfolgt seit etwa 1850. Seither hat der Rohstoff die Wirtschaftsstruktur der Region entscheidend geprägt. Die erste Abraumförderbrücke der Welt etwa arbeitete im Lausitzer Revier, im Tagebau Plessa bei Lauchhammer. Auch die größte Brücke der Welt, die legendäre F60, steht hier. Eines von vier noch existierenden Exemplaren arbeitet in Nochten. Allein ob ihrer schieren Größe ist es das optische Kernstück des Tagebaues. Man kann sich der Wucht dieses elftausend Tonnen schweren Ungetüms kaum entziehen.Es ist die größte bewegliche Arbeitsmaschine der Welt. Gewaltige Dimensionen, futuristisch und archaisch zugleich. Weiter geht es in unserem Transporter immer tiefer Richtung Sohle, vorbei an endlosen Bandanlagen und armdicken Stromkabeln für die Großgeräte. Die Landschaft weiterhin abweisend und karg. Wir sind unten.

F60 in Nochten

Zur Fotostrecke

Über uns ragen das Kohleflöz und das Deckgebirge. Auf uns herab starren Bagger und die allgegenwärtige Brücke. Einlagerungen von Holz in der Kohle vermitteln einen Eindruck von den gigantischen Zeiträumen, in denen der Rohstoff entstanden ist. Unaufhörlich schütten die Bänder der Förderbrücke Abraum auf die Halde, abgebaut von riesigen Schaufelradbaggern, die sich durch die Lausitzer Heide fressen Technisch ist es zweifellos eine enorme Leistung, den Tagebau mit seinen Großgeräten unter allen Bedingungen am Laufen zu halten. Sand- und Kohlestaub sind bei schönem Wetter allgegenwärtig, bei Regen verwandelt sich das Gelände in ein Meer aus Schlamm, im Winter drohen Gleise einzufrieren. Man kann das Selbstbewusstsein der Menschen, die hier arbeiten, verstehen. Bergleute sind ein besonderer Schlag. „Ich bin Bergmann, wer ist mehr?“ Diesen Spruch gab es wohl nicht nur in der früheren DDR. Exkursionsleiter Philipp erzählt mit unüberhörbarem Stolz aus seiner Zeit als Schichtleiter im Braunkohletagebau. Von konstanten Förderleistungen, auch bei widrigen Umständen. Von blitzartigen Reparaturen, wenn die Brücke nach tagelangen Regenfällen im Schlamm abzurutschen drohte. Die Braunkohle ist ein dominierender Wirtschaftsfaktor in der Region, der Tagebaubetreiber Vattenfall der größte Einzelarbeitgeber. Dazu Gert Phillipp: „Wir sind für die Energiesicherheit zuständig. Darauf kommt es an.“ Aber hinter einer Zahl, die eben nicht besonders beeindruckend erscheint, verbirgt sich ein Dilemma, welches die Region spaltet. Der Tagebau Nochten wandert wie erwähnt vierhundert Meter im Jahr. Vierhundert, das klingt nicht viel. Wenn das Flöz, welches in der Lausitz oft nur zwanzig Meter stark ist, abgebaggert ist, zieht die ganze Anlage weiter Und da sie sich nicht in Sibirien befindet, stehen Ortschaften hin und wieder im Weg.“Und hier gibt es Probleme“, stellt Gert Phillip lapidar fest.

Was tun mit den Dörfern? Weg damit, sagen die Kohlebefürworter, die Vattenfall-Leute.“ Ihr könnt Euch ein neues Dorf bauen, ein viel schöneres“, so das Versprechen. Ansonsten seid ihr schuld am Verlust von Arbeitsplätzen. Wollt ihr schuldig sein? Na, also!

Ist es das alles wert, fragen die Skeptiker, die sich für Realisten halten. Klar, Braunkohle ist wichtig, vor allem wegen der Arbeitsplätze. Es muss doch möglich sein, beides in Übereinstimmung zu bringen, jeder Seite gerecht zu werden. Industrie und Naturschutz und Siedlungstrukturen.

Nein, sagen die Gegner, die Betroffenen und die, die sich betroffen fühlen. Menschen, deren Familien teilweise seit Jahrhunderten auf den Höfen leben, die einem Tagebau weichen sollen. Einem Tagebau, der in spätestens zwanzig oder dreißig Jahren bereits wieder vergessen sein wird. Umweltschützer, denen der Verlust an Natur nicht den aus ihrer Sicht kurzfristigen Gewinn wert ist. Ein gewaltiger Widerspruch zwischen wirtschaftlichen Erwägungen und dem Preis, der bezahlt wird. Ich will mehr darüber wissen.

Szenenwechsel: Proschim, in der Lausitz zwischen Senftenberg und Spremberg gelegen. Ich entdecke ein Schild: Hier beginnt das Königreich Schweden, Ortsteil Vattenfall. Ich stehe davor und habe den ersten Gesprächspartner. Ein älterer Herr spricht mich an: „So viele Dörfer sind schon verschwunden!“ Und dann bricht es aus ihm heraus. Die Angst, dass sein Dorf, sein Hof dem Tagebau weichen soll. Dem Tagebau Welzow II, der in dieser Gegend geplant ist. Die Wut, auf die Politik, die dies nicht verhindert und die die Menschen belügt, auf die VATTENFALL-Leute, die für ihren Gewinn hemmungslos Landschaften zerstören. Ich kann kaum antworten. Zu schnell prasseln die Fakten auf mich ein. Ich schaue mich um. Proschim macht den Eindruck eines funktionierenden, lebendigen Dorfes. Das ist in dieser sogenannten strukturschwachen Region nicht immer die Regel. Ein zweiter, jüngerer Mann gesellt sich hinzu. Lebensraum und über Jahrzehnte Geschaffenes einfach aufgeben, geht das? Kann das irgendeine Entschädigung, wie großzügig auch immer, aufwiegen? Schwer vorstellbar.

Ein paar Kilometer entfernt von Proschim liegt das ehemalige Haidemühl. Dort bekomme ich einen Eindruck, was Devastierung bedeutet. Es ist der „klinische“ Ausdruck für das Wegbaggern von Dörfern. Es ist gespenstisch. Die Kehrseite der gewaltigen technischen Faszination des Tagebaus, die Kehrseite des Stolzes darauf, zur stabilen Energieversorgung beizutragen, die Kehrseite zu vielen gut bezahlten Arbeitsplätzen.

Haidemühl nach der Devastierung

Haidemühler Ansichten

Kerkwitz, ein Dorf mit fast fünfhundert Einwohnern in der Nähe von Guben in der Niederlausitz. Kerkwitz ist bedroht. Mein Gesprächspartner ist Andreas Stahlberg. Der Fünfundvierzigjährige ist Mitarbeiter der Gemeinde Schenkendöbern, zu der auch Kerkwitz zählt.

Er ist verantwortlich für „bergbaubedingte Sonderaufgaben“, direkt dem Bürgermeister unterstellt. Und diese Sonderaufgaben gibt es reichlich. Der Tagebau Jänschwalde, nicht weit von der Gemeinde Schenkendöbern, sorgt heute schon für Probleme. Abgesenktes Grundwasser, Schäden an Straßen und Gebäuden, Lärm, Staub und regelmäßige Sandstürme beschäftigen die Einwohner. Der gebürtige Rheinländer Andreas Stahlberg kümmert sich. Wann ist ein Schaden ein Bergschaden? Eine typische Frage. Andreas Stahlberg erzählt: „Im Jahre 2004 wurde Horno umgesiedelt und der damalige Ministerpräsident Manfred Stolpe hat den Bürgern hier zugesichert, Horno sei das letzte Dorf, welches in der Lausitz umgesiedelt werden soll. Darauf haben sich die Bürger verlassen. Die Eintragungen aus DDR-Zeiten, dass die Gegend ein Vorbehaltsgebiet ist, sind gelöscht worden. Dann kam 2007 die Ankündigung von Vattenfall, dass hier ab 2025 ein neuer Tagebau entstehen soll. Seit dem weiß man eben nicht, wie es weitergeht.“ Vorbehaltsgebiet, ein Begriff aus der Regionalplanung, ist letztendlich ein Damoklesschwert für die betroffenen Gemeinden. Konkret hieß das zu DDR-Zeiten, dass die Braunkohleförderung, so sie als wirtschaftlich einigermaßen sinnvoll erachtet wurde, Vorrang vor der Erhaltung der Siedlungsstrukturen hatte. Das schien für Kerkwitz vom Tisch. Dann kam Vattenfall. Und wollte den Tagebau Jänschwalde-Nord. Nun liegt zwischen Ankündigung und Abbau ein ziemlich langer Weg. Das Braunkohleplanverfahren für Jänschwalde-Nord ist 2009 eröffnet worden. Im Jahre 2011 gab es einen sogenannten Scoping-Termin, wo unter Mitwirkung der Behörden festgelegt wurde, was bezüglich der Umweltauswirkungen des neuen Tagebaues untersucht werden muss. Geplant war, diesen Termin innerhalb von drei Monaten auszuwerten. Gedauert hat es schließlich ein Jahr. 2015 sollte der Braunkohleplan eigentlich schon beschlossen sein und momentan existiert noch nicht mal ein Entwurf. Andreas Stahlberg ist überzeugt, dass der Tagebau nicht kommt. „Vattenfall und die Landesregierung sagen, dass der neue Tagebau für ein Neubaukraftwerk am Standort Jänschwalde zur Verfügung stehen soll, welches mit CCS Technik gebaut werden soll.“ CCS, Carbon Capture and Storage, bedeutet die Abspaltung des entstehenden Kohlendioxids und seine Lagerung in tiefen Gesteinsschichten. Proteste in den Gebieten, die für eine CO2 -Einlagerung vorgesehen waren, führten letztendlich zu einer CCS-Gesetzgebung in Deutschland, die eine kommerzielle Nutzung des Verfahrens  für Kohlekraftwerke unmöglich macht. Aber möglich ist der Tagebau dennoch. Und so lange ist auch die Zukunft des Dorfes ungewiss. Und es zermürbt natürlich. Sicher, Vattenfall versucht zunächst die gütliche Einigung, die in den meisten Fällen auch gelingt, denn der Druck ist riesig. Vattenfall nennt es selbst den „Lausitzer Weg“. Der rein materielle Aspekt ist lukrativ. Andreas Stahlberg: „Es gibt ein Haus für ein Haus, eine Feuerwehr für eine Feuerwehr. Schwierig wird es wenn es um Ländereien geht. Die Landwirte haben letztendlich weniger Fläche.“ Am Ende erlaubt die Bergbaugesetzgebung in Deutschland die Enteignung bei erteilten Genehmigungen. Übriges auf der Grundlage eines Gesetzes, welches erst in den 1930er Jahren dahingehend geändert wurde, dass besiedeltes Gebiet enteignet werden kann. Ein Gesetz aus der Nazizeit als Grundlage? Das hat einen Beigeschmack. Dessen scheint sich auch Vattenfall bewusst zu sein, denn der „Lausitzer Weg“ beinhaltet nicht nur die Entschädigung bei Umsiedlung. Der schwedische Konzern tritt bereits heute als Sponsor in der Region auf. Dorffeste werden unterstützt, bei Bedarf auch Gerät für die dörflichen Feuerwehren finanziert, Vereine wie Energie Cottbus und die „Füchse“ Weisswasser erhalten Zuwendungen. Vattenfall lässt sich die Stimmung in der Region einiges kosten. Vattenfall ist in den lokalen Strukturen hervorragend vernetzt. Es gibt einen Verein „ Pro Lausitzer Braunkohle“, der, so Andreas Stahlberg, von Vattenfall mitfinanziert wird. Dort sitzen Bundestags- und Landtagsabgeordnete. Der Präsident der Industrie- und Handelskammer ist im Vorstand von Vattenfall. Die Wirtschaftinitiative Lausitz wurde vom schwedischen Konzern ins Leben gerufen. Die Gewerkschaft, auf Seiten der Braunkohle stehend, stellt viele Bundestagsabgeordnete in verschiedenen Parteien. Die Interessen prallen aufeinander. Denn es geht im Kern auch um die Lausitz als Industriestandort und somit um Arbeitsplätze. Verschiedene Studien sprechen von ungefähr zehntausend direkten und indirekten Arbeitsplätzen, die von der Kohle abhängen. Die Zahlen in den Studien gehen allerdings weit auseinander und sind nicht ohne weiteres verifizierbar. Das macht eine objektive Bewertung sehr schwer. Fakt ist, Vattenfall ist der größte Einzelarbeitgeber in der Region. Die Lausitz zeigt  mit der Braunkohle Anzeichen einer wirtschaftliche „Monokultur“. Das sind gewichtige Argumente, zumal Arbeitnehmer auch immer Wähler sind. Und es geht um sichere Energie.

Aber muss das die Braunkohle sein? Die Verstromung von Braunkohle ist eine Brückentechnologie. Aber wie weit reicht die Brücke in die Zukunft? „Ein Strukturwandel ist machbar“, stellt Andreas Stahlberg fest. Wenn die Akzeptanz des Tagebaues in der Bevölkerung sink, sinkt auch die politische Unterstützung. Bei der Strategischen Umweltprüfung, die für die Neueröffnung zwingend ist, ist es vorgeschrieben festzustellen, ob es Alternativen gibt. „Das heißt nicht, dass es alternative Tagebaue geben muss“, so Andreas Stahlberg. Das Ziel des Braunkohleplanes sei nicht die Erhaltung von Arbeitsplätzen, sondern die sichere Energieversorgung. Die Frage ist letztendlich, ob es alternative Wege gibt, den Strom zu erzeugen. In der Lausitz gibt ein hohes Potential für alternative Energien, viele freie, rekultivierte Flächen, dünn besiedelte Gebiete. Die Lausitz hat sich als Energieregion profiliert. „Ich glaube, dass es auch weiterhin so bleiben wird“, ist sich mein Gegenüber sicher. Die Braunkohle ist irgendwann zu Ende, egal, wie lange sie letztendlich noch gefördert wird. Und dann muss ohnehin ein Strukturwandel stattfinden. Nur der Preis dafür wird höher, je länger man mit dem Strukturwandel wartet. Was bleibt, ist die Unsicherheit. Die Menschen in Kerkwitz sind zuversichtlich. Noch einmal Andreas Stahlberg:“ In den letzten zwei, drei Jahren tut sich hier wieder einiges. In den ersten vier, fünf Jahren nach der Ankündigung war hier so ein richtiger Stillstand. Es wurde nur noch repariert. Wir hatten lange Zeit keinen Zuzug von Familien mehr. Jetzt bleiben die Familien wieder hier. Man muss sagen, dass die Leute, die jetzt hier bauen, auch tatsächlich aus Protest bauen. Sie sagen, wir wollen hier bleiben. Ich kenne die Leute und ich weiß, es ist ihnen ein inneres Bedürfnis zu zeigen: Dieses Dorf soll erhalten bleiben.“ Die Braunkohle polarisiert die Menschen in der Lausitz. Pro oder Contra? Von der Beantwortung dieser Frage hängt die Zukunft der Region ab.

Kerkwitzer Ansichten

Kerkwitzer Ansagen