Auf dem Motorrad von Dresden nach Murmansk II

8. Juni 2014

Ich traue meinen Augen nicht: die Polen checken ihre Smartphones während des Gottesdienstes. Und singen trotzdem inbrünstig mit. Okay, es ist nur ein Einziger, den ich dabei beobachte, aber immerhin. Hätte ich hier nicht vermutet.

Ich habe heute früh die restlichen dreißig Kilometer nach Częstochowa (Tschenstochau) zurückgelegt, die ich gestern nicht mehr geschafft habe. Polen ist ein katholisches Land, das ist soweit nichts Neues aber  Częstochowa ist diesbezüglich ein Hotspot. Schließlich ist hier die Heimat der Schwarzen Mutter Gottes, einer polnischen Staatsreliquie. Die Schwarze Madonna soll im Laufe der Jahrhunderte Polen schon etliche Male aus misslichen Situationen befreit haben. Wahrscheinlich war das Gemälde ursprünglich mal eine byzantinische oder russische Ikone aber so genau weiß das heute niemand mehr.  Częstochowa ist jedenfalls ein Wallfahrtsort und entsprechend voll war es zu Pfingsten auch. Der Besuch von Jasna Gora, so heißt das Sanktuarium, muss einfach sein. Aber bevor man dort ist, kämpft man sich durch einen „Speckgürtel“ von Religionskirmes: Devotionalienhändler, ambulante Gastronomie, Bands.

Draht nach ganz oben

Draht nach ganz oben

Ich bin gewiss weit davon entfernt, in irgendeiner Art religiös zu sein aber der Wucht dieses Ortes kann ich mich schwer entziehen. Eine sakrale Pracht, die einen fast erschlägt. Mir wird bewusst, wie tief der katholische Glauben in der polnischen Gesellschaft verankert sein muss. Wenn man sieht, wie selbstverständlich Menschen allen Alters vor den Reliquien und Heiligenbildern knien, sich bekreuzigen, beten, dann ahnt man, wie eng die Verflechtung ist. Da ist nichts Gekünsteltes, es gehört hier einfach zum Leben. Okay, Smartphone checken ist dann auch noch drin aber wer wird denn kleinlich sein. Und Jan Pawel, wie der Heilige Vater a.D. hier genannt wird, ist allgegenwärtig. Verständlich, dass es der Kommunismus in Polen besonders schwer hatte.

Andacht

Andacht

Die Stadt selbst wirkt verloren, nicht sonderlich belebt. Mag auch daran liegen, dass Feiertag ist und die Temperaturen deutlich über dreißig Grad liegen.

Boulevard of Broken Dreams

Boulevard of Broken Dreams

Eine Kochshow auf offener Bühne mit einem Dutzend begeisterter Rentner als Zuschauer, jede Menge Imbissbuden – das war’s eigentlich. Ich laufe durch unbelebte Seitenstraßen, die in der Hitze wie erstarrt wirken. Vereinzelt sitzen Leute in den Hauseingängen, Hunde. Bröckelnde Fassaden konkurrieren mit greller Reklame kleiner Läden. Ein Bild, welches so typisch für den Osten ist. Das Leben wirkt irgendwie unbeschleunigt.

Eastern Sidestrip

Eastern Sidestrip

Morgen geht es weiter auf dem Motorrad von Dresden nach Murmansk – erstmal nach Warschau. Bis jetzt macht die URAL keine Schwierigkeiten. Die Straßen sind gut. Hoffentlich bleibt es so.

 

Ein Gedanke zu „Auf dem Motorrad von Dresden nach Murmansk II

  1. Micha,
    viel Glück und Spaß bei Deiner Tour. Der (neue?) Laptop scheint seinen Dienst zu tun und ich freue mich auf die täglichen Berichte.
    Gute Fahrt nach Warschau!
    Wulf

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