Das sind die Menschen, die mir vor die Füsse gelegt werden

Hoyerswerdaer Ansichten

Hoyerswerdaer Ansichten

Hoyerswerda ist eine Stadt, die immer wieder mit Ausländerfeindlichkeit in Verbindung gebracht wird. In den aktuellen Schlagzeilen eigenartigerweise nicht. Gibt es keine Probleme in Hoyerswerda? Ein Gespräch mit einem, der mittendrin steckt.

Hoyerswerda. Eine Stadt, die viele, die sie nicht wirklich kennen, vor allem mit zwei Dingen verbinden: DIE realsozialistische Musterstadt in berühmt-berüchtigter Plattenbauweise. Und Ort rechtsradikaler Ausschreitungen vor einen Wohnheim ehemaliger Gastarbeiter im Jahre 1991. Zwei Dinge, die nach Meinung nicht weniger Menschen unmittelbar zusammenhängen. Hoyerswerda gleich Rechts. So lautet oft die simple Formel in den Medien. Hoyerswerda hat einen Ruf. Jetzt, 2015, kommt es überall in Sachsen zu Demonstrationen gegen die Aufnahme von Flüchtlingen, immer öfter sind diese Aktionen gewalttätig, enden sie in Ausschreitungen. Seltsamerweise taucht Hoyerswerda nicht so richtig in den Schlagzeilen auf. Woran kann das liegen? Ich mache mich auf nach Hoyerswerda, um mit jemandem zu sprechen, der sich seit Jahren um das Zusammenleben zwischen Flüchtlingen und Einheimischen kümmert.

Das King-Haus, offiziell Martin-Luther King-Haus, ist Heimstatt der Evangelischen Kirchengemeinde in Hoyerswerda. Es ist mitten in einer Parkanlage, dem früheren städtischen Friedhof, im Zentrum von Hoyerswerda-Neustadt gelegen. Ich spreche mit Pfarrer Jörg Michel (50), einem gebürtigen Görlitzer, der schon lange in Hoyerswerda lebt. Seine Redewendungen, seine Aussprache, all das kommt mir sofort vertraut vor. Ich bin in der Stadt zur Schule gegangen.

Wir reden nicht lange um den heißen Brei herum. „Wie sieht die Situation bezogen auf die Flüchtlinge aus?“, möchte ich wissen. Bedient Hoyerswerda das Klischee des rechten Nestes? Jörg Michel zögert kurz. „Ich kenne die Ereignisse von 1991 auch nur aus der Presse. Ich habe das in Görlitz gar nicht so wahrgenommen.“ Nachdem er nach Hoyerswerda gezogen war, hat er die Reflexe bezüglich dieser Stadt selbst mitbekommen. „Du kommst aus Hoyerswerda? Na da…“ Und die sofortige Abwehrhaltung der Einwohner, wenn die Sprache auf die Angriffe auf die Unterkünfte der Ausländer kommt. Viele sind nach seinen Worten leider in diesem Abwehrreflex steckengeblieben bis hin zur Stadtverwaltung. „Die meinen, wenn die Medien kommen, sagen wir erstmal gar nichts. Medien wollen eh nur Schlechtes über die Stadt berichten.“ Also Kopf in den Sand bei den Verantwortlichen? Jörg Michel ist sein Unmut darüber anzumerken. Aber in der Stadt bewegte sich dennoch etwas. Fünfzehn Jahre nach den rassistischen Ereignissen begannen Dinge, die der Stadt wahrscheinlich bis heute helfen, einen halbwegs vernünftigen Umgang mit Flüchtlingen zu bewerkstelligen.

Jörg Michel erinnert sich: „2006 war ein besonderes Jahr. Fünfzehn Jahre nach den Ereignissen sollte hier eine große rechte Demo stattfinden. Fünfzehn Jahre ausländerfrei und ähnliche Parolen wurden da gebrüllt. Wir dachten, 1991 war etwas Singuläres, Einmaliges. Wir hatten etliche Initiativen, haben freie Träger herangeholt, es gab Sozialarbeit, das Johanneum (ein christliches Gymnasium- MD) wurde gegründet. Wir dachten, das ist alles in guten Händen, das läuft. Und dann der Schock, das wieder welche hier rumziehen und rumbrüllen können. Das hat viele aus der Zivilgesellschaft aufgerührt. Es wurde klar, dass die Zivilgesellschaft was machen muss, was organisieren muss. Wir können das nicht der Verwaltung oder nicht der Politik überlassen.“ Eine rechte Demo als Initialzündung? Auch das gibt es offenbar. Die Gruppe „Initiative Zivilcourage“ wurde gegründet. Von ganz verschiedenen Personen, freien Trägern, Institutionen, Bürgern, die der Meinung waren, dass man etwas tun müsse. Der gemeinsame Nenner hieß „Für eine einladende Stadt“, das Wort Willkommenskultur gab es noch nicht. Jörg Michel spricht über die Motive: „Nicht nur platt: wir sind gegen rechts. Wir haben gefragt: Wofür sind wir denn? Was verbindet uns, Kirche, Konservative, linke Gruppierungen, eine bunte Gemengelage, für diese Stadt und was folgt dann aus dieser gemeinsamen Verabredung?“

In Hoyerswerda wuchs ein richtiges Netzwerk aus engagierten Bürgern, quer durch Alters-, Berufs- und Herkunftsgruppen. Im Herbst 2013 wurde dann klar, dass die Stadt ein neues Asylbewerberheim bekommen wird. Die Logistik, die eine Zivilgesellschaft braucht, um damit umzugehen, war da. Ein riesiger Vorteil. Von den heutigen Dimensionen der Flüchtlingsdebatte war man allerdings noch weit entfernt. Im November 2013 konnte das Bündnis „Hoyerswerda hilft mit Herz“ auf die Beine gestellt werden. Neunzig Personen waren Gründungsmitglieder. Jörg Michel erzählt weiter: „Dann kam der große Run mit der Öffentlichkeit. Die Presse von sonstwo erschien. Das Heim wurde Ende Januar 2014 eröffnet, ab Februar belegt, wir hatten einen Tag der offenen Tür, da waren über tausend Leute da. Hoyerswerda hatte ja für viele einen gewissen Klang. Was geht jetzt los hier? Wird das wieder so werden wie 1991? Es war irre, mit dem medialen Ansturm umzugehen. Wir waren genervt, aber wir haben Auskunft gegeben. Wir denken nicht, dass die Bedingungen in der Stadt wieder zu einem 1991 führen könnten.Es ist ja vieles passiert in derHoyerswerda. Es war eine Ackerei, die Neugier der Medien zu befriedigen. Nach anderthalb Jahren können wir sagen, dass es relativ ruhig geblieben ist. Es ist nicht mehr interessant, Hoyerswerda im Blick zu haben, es gibt wenig Stories.“ Nicht alles geht glatt. Durch unzureichende Absprachen wurde beispielsweise eine Flüchtlingsfamilie in eine Wohnung direkt über einer stadtbekannten rechten „Aktivistin“ eingewiesen. Die Situation eskalierte, die Polizei musste eingreifen. Zurzeit leben in Hoyerswerda ungefähr 220 Flüchtlinge. Neben dem Heim gibt es eine Notunterkunft in einer ehemaligen Schulturnhalle. Und hier kommen wir zu einem Punkt, an dem Jörg Michel seine Unzufriedenheit nicht mehr verbergen kann. „Im März 2015 wurde die Notunterkunfteröffnet. Vierzig Plätze mit ein paar spanischen Wänden. Dort sind jetzt vor allem Kosovo-Albaner, die wissen, dass sie nach Hause müssen. Aber sie können noch nicht, weil sie von den deutschen Behörden die Pässe noch nicht zurückbekommen haben. Ich denke, es ist alles so glimpflich ruhig, weil die alle aus dem Kosovo stammen, die kommen ethnisch klar miteinander. Wenn es mehrere Nationen wären, würden die auch Panik kriegen. Die großen Heime sind ein Sozialexperiment. Man kann die Uhr danach stellen, wann es knallt. Und dann heißt es: Die Ausländer! Die sollen doch froh sein, dass sie hier leben dürfen. Vorurteile werden bestätigt, dass sie Menschen hier nicht klarkommen, sich prügeln und kriminell werden.  Aber ich provoziere das doch durch diese Karnickelbuchtenhaltung! Andere Landkreise waren klüger und haben mehr in dezentrale Unterbringung investiert. In Wohnungen klappt die Integration viel besser, gibt es mehr Kontakt zur einheimischen Bevölkerung. Der Landkreis Bautzen war der Meinung, dass Wohnungen nicht gebraucht werden. Schliesslich sind große Kisten billiger.“ Sind Kosovo–Albaner nicht die, die jeden Montag von PEGIDA & Co als Wirtschaftsasylanten beschimpft werden? Jörg Michel hat dazu eine klare Haltung. „Jeder von uns würde auf diese Weise sein Glück versuchen, wenn er zu Hause keine Arbeit bekommt. Damit kann der Staat klug umgehen oder dumm umgehen. Es gibt Kommunen, die sagen zu den Kosovo Albanern: Hier habt ihr ein Handgeld, ihr könnt hier nicht bleiben, hier habt ihr noch was drauf, nehmt das Geld und fahrt wieder zurück. In Hoyerswerda wird jeden Monat neu das zuständige Verpflegungsgeld gezahlt, anstatt die Sache mal zu Ende zu bringen. Die wollen zurück, denn sie wissen mittlerweile, dass es hier keine Arbeit für sie gibt. Inzwischen kommt kaum noch jemand vom Kosovo hierher. Der aktive Zustrom vom Balkan ist mittlerweile gering.“ Überhaupt, die Zusammenarbeit mit Behörden und Verwaltung scheint ein Thema zu sein, welches einigen Frust auslöst.

„Das Thema hat eine Dimension, wo man einfach nicht mehr passiv bleiben kann. Deswegen geh ich ja auch die Stadtverwaltung an. Das sind bisher so die Zugucker. Wenn die Presse kam, wurde stolz gesagt: ‚Ja, wir haben hier ein Bürgerbündnis!‘ Wir bekommen jetzt zwei neue Heime und merken, dass diese Kleckerei so nicht geht. Jetzt muss die Stadtverwaltung mit ran. Sie müssen mit den Ämtern zusammenarbeiten. Wir haben selbst Einzelfälle betreut und sind die Ämter abgeklappert bis sich dort jemand mal regte. Das muss jetzt professionell von denen, die dafür bezahlt werden, erledigt werden. Aber das ist mühsam. Ich hab Mitte August der Stadt mitgeteilt, dass sie bitte einen runden Tisch zum Thema Flüchtlinge organisieren mögen. Am 20. September kam die Einladung für die darauffolgende Woche. So lange brauchen die, um mal zu sagen: ,Naja…‘ Da gibt es mächtige Hemmnisse. Der Stadtsportbund muss ran, Fußballmöglichkeiten oder ähnliches anbieten. Bis jetzt hat eine Gruppe so vor sich hin genuckelt, da müssen ganz andere Kapazitäten geschaffen werden. Sonst treten wir uns hier nur auf die Köpfe. Und die Rechten, die klatschen, weil das dann Unwillen hervorruft. Da merkt man, dass Hoyerswerda bezogen auf die Verwaltung ein Dorf ist. Das geht an denen alles vorbei. Die Antwort ist oft, dass es ja schließlich Sache des Landkreises sei und die Stadt gar nichts anginge. Formal haben sie recht aber es ist wirklichkeitsfremd. Der Bürgermeister für Kommunale Dienstleistungen sitzt in der Gründungsrunde: ,Ich bin verantwortlich für Sport und klar, ich helfe!‘ Das war im November 2013. Dann im Frühjahr 2014 habe ich nachgefragt. Wir brauchen dringend eine Klärung, wie beispielsweise die Versicherungsfrage bei Sportveranstaltungen ist. Es kam eine Mail zurück: Wenden Sie sich an den Herrn Sowieso, der ist Partner der Stadtverwaltung. Diese Hilfe, nur delegieren, kann ich mir sparen. Wenn der Dezernent für Sport das nicht aufnimmt, seine Hausaufgabe nicht macht….Wir verlieren Zeit. Da entsteht ein irrer Schaden!“ Jörg Michel ist sichtlich genervt. Die aktuellen Probleme sind seiner Meinung nach zur Hälfte selbstgemacht.

Jörg Michels Einschätzungen über die Situation in Hoyerswerda decken sich mit dem Bild, welches sich gegenwärtig darstellt. Verwaltung und Behörden sind mit der Situation teilweise überfordert. Umso wichtiger sind die vielen Menschen, die einfach helfen. Neben ihrem Beruf, neben ihrer Familie. Die nichts dafür verlangen, die es einfach machen. Und die oft genug von „Besorgten Bürgern“ verunglimpft oder sogar angegriffen werden. Etwas sarkastisch meint Jörg Michel dazu: „Freiwillige Helfer versauen die Norm. Die Norm der das –geht – nicht-das klappt-alles-nicht-alles-ganz-schlimm-hier- Fraktion. Über die Politik können viele Leute bestens reden. Darüber, was nicht funktioniert, was nicht geht. Um davon abzulenken, was sie selbst vor Ort alles tun könnten.“

Flüchtlinge sind da. Man kann sie nicht einfach sich selbst überlassen. Wir müssen menschenwürdig mit ihnen umgehen. Pfarrer Jörg Michel sieht es pragmatisch. „Das sind die Leute, die mir vor die Füße gelegt werden. Für die bin ich verantwortlich! Was Angela Merkel macht, welche Gespräche bei der EU laufen, das kann ich nur zur Kenntnis nehmen. Und manchmal kann ich darüber nur den Kopf schütteln. Aber es hindert mich nicht, zu tun, was vor Ort möglich ist.“

Die Abschottung der Grenzen ist DAS Thema, welches derzeit in Politik und Medien sehr im Mittelpunkt steht. Ist es hilfreich? Jörg Michel überlegt: „Vielleicht zum Luftholen, zum Beruhigen. Damit die Behörden Atem schöpfen können. Eine Lösung ist es nicht.“

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