Nazikeule, Überfremdungsparanoia und warum mir Weimar einfällt

„Wie lange wird es den Dresdner Christstollen und den Weihnachtsmarkt wohl noch geben?“  Wenn man den Medien Glauben schenken darf, sind das die Sorgen, die die Menschen in Dresden umtreiben. Tumbe Gesellen, fürwahr. Rechts und unterbelichtet, eben aus dem Tal der Ahnungslosen, Ossis. PEGIDA polarisiert. „Patriotische Europäer gegen Islamisierung des Abendlandes“, eine Nummer kleiner geht es scheinbar nicht. Schweigend und scheinbar friedlich marschieren, nein spazieren, sie am Montagabend durch Dresden. Brave Bürger, denen das Wohl ihres Heimatlandes ein Herzenswunsch ist. Auch wenn sie nicht begreifen, dass die Welt hinter Radebeul und Pirna nicht zu Ende ist. Fremde, Muselmänner gar, stören da nur. Aufrechte linke Demonstranten stellen sich ihnen entgegen und verhindern Schlimmeres. Eine schöne, einfache Welt, klar eingeteilt in Gut und Böse, Rechts und Links, Willkommensfreude und Fremdenhass. Man muss eben nur Spiegel-Online und ZEIT lesen.

So einfach ist es dann aber doch nicht. Ja, es gibt sie, die Rechten, die Nazis, die Fremdenhasser. Aber es gibt sie eben auch, die Probleme in den Flüchtlingsunterkünften, die Wirtschaftkriminalität, die fremde Lebensweise. Und die Medien bombardieren uns täglich mit den Auswüchsen einer Religion, die ihre Reformationszeit wohl noch vor sich hat. Dschihad, IS, Ehrenmorde und die vielzitierten muslimischen Paralleluniversen in deutschen Großstädten- täglich werden wir damit (meist undifferenziert) zugekippt. Zeitgleich liest man darüber, wie sehr unsere Wirtschaft schwächelt, wie gefährdet unser Wohlstand ist. Only bad news are good news– allzuoft wird dieses Axiom der Berichterstattung bedient, wohliges Gruseln der (noch) unbeteiligten Medienkonsumenten fördert die Absatzzahlen. Das ist nur die eine Seite. Eine wachsende Anzahl von Menschen in den westlichen Industriestaaten fühlt sich bedroht. Das ist die andere Sichtweise. Hier geht es nicht um eine physische Bedrohung, sondern um die, meist gefühlte, Bedrohung unserer Lebensweise und somit unseres Wohlstandes. Man glaubt zu spüren, wie es stetig bergab geht, wie alles immer teurer wird, die Arbeitslosigkeit steigt, die Kriminalität zunimmt. Ganze Teile der Welt scheinen aus den Fugen zu geraten, Kriege rücken in geographische Reichweite. Es ist ein schwer fassbares, nicht eindeutig zu belegendes Phänomen, frei nach dem Motto: früher war alles besser. Und das war es mit Sicherheit nicht, von drei Jahrzehnten Wohlstandskapitalismus vor 1989 in (West)-Deutschland mal abgesehen. Die Inkarnation der Bedrohung ist seit Menschengedenken der Fremde, der, der anders aussieht, sich anders kleidet, anders spricht und sich anders verhält. Und der scheinbar gänzlich andere Verhaltensnormen und Werte hat. Und dem Islam anhängt, selbstredend.

Fakt ist, dass die Welt sich tatsächlich ändert. Ressourcen werden knapper und teurer, Märkte gesättigter. Die Weltbevölkerung wächst stetig. Dazu brechen, wohl als Nachwirkung des beendeten Kalten Krieges, politische Strukturen zusammen oder ordnen sich neu. Und die neuen Verhältnisse werden für die meisten Menschen dort nicht besser. Wie auch, unter Bürgerkriegsbedingungen? Der Arabische Frühling ist ein Beispiel dafür. Ein idealer Boden für Extremisten und Glaubensfanatiker jeder Schattierung. Aber diesen Dingen müssen wir uns stellen, ob es uns gefällt oder nicht. Die Entwicklungen sind unumkehrbar. Der Westen, als politisches und wirtschaftliches Gebilde, hat dazu seinen Teil beigetragen. Ihn als Hauptschuldigen hinzustellen, trifft das Problem allerdings nicht. Wir werden es nicht verhindern können, dass Menschen fliehen vor Gewalt und Willkür und auch vor völlig desolaten wirtschaftlichen Verhältnissen, vor Perspektivlosigkeit. Wir würden es nicht anders machen. Was also tun? Die Flüchtlingsboote vor Lampedusa im Meer versenken? Alle zurückschicken? Und dann? Glaubt irgendjemand, dass das Problem dann gelöst ist? Sie werden wiederkommen, denn sie leben oft elend. Der britische Film „Der Marsch“ von 1990 hat die Dinge nahezu prophetisch dargestellt. Es bleibt uns nur eines: dafür zu sorgen, dass es hier ein Miteinander geben kann. Ein Miteinander, dass allerdings nicht frei von Konflikten sein wird. Und ein Miteinander, das zivilisierten Menschen, als die wir uns bezeichnen, würdig ist. Hilfsbereitschaft auf der einen und Integrationsbereitschaft auf der anderen Seite. Asylbewerber an sich stellen weder eine Gefahr für unsere Demokratie noch für unseren Wohlstand dar. Falsches Verhalten der gewählten Volksvertreter, der „Politik“ ist dagegen sehr wohl eine Gefahr. Zehntausend Teilnehmer der PEGIDA- Märsche in Dresden sind beileibe nicht alles Nazis. Aber wenn diese Menschen das Gefühl haben, dass ihre Besorgnisse und Ängste, so unbegründet sie manchmal sind, nicht ernst genommen werden, sie pauschal in eine radikale Ecke gestellt werden, dann werden sie empfänglich für die Botschaften der wahren Rattenfänger. Demagogen vom linken und rechten Rand, die vermeintlich einfache Lösungen anbieten. Dann wird es gefährlich. Das Ende der Weimarer Republik kenne ich, Jahrgang 67, nur aus dem Geschichtsbuch. Nicht einmal meine Großeltern konnten davon berichten. Ist PEGIDA der Ausdruck einer Vertrauenskrise? Ausdruck des Misstrauens gegenüber der Politik, gegenüber den öffentlich-rechtlichen Medien? Scheint so. Man besuche nur einmal den Forenbereich der PEGIDA- Website. Die Diskussionen um Asylbewerberheime sind nur der Auslöser. Hier gilt es hinzuschauen. Wenn Volksvertreter kollektiv nicht mehr als Volksvertreter wahrgenommen werden, ist die Lage brenzlig. Wir haben es alle in der Hand, dass es nicht so kommt. Weder die Nazikeule noch Überfremdungsparanoia sind geeignete Werkzeuge.

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